: Kekse nur fürs Auge
PRÄZISION Anke Rabeler ist Foodstylistin. Sie macht Lebensmittel schön, damit sie in Kochbüchern gut aussehen. Ganz ohne Tricks kommt sie nicht aus, aber der Trend geht zur Natürlichkeit
■ Die Ausbildung: Für FoodstylistInnen gibt es keine geregelte Ausbildung. Viele von ihnen haben eine Ausbildung als Koch, Köchin oder KonditorIn. Der Weg in den Beruf führt oft über ein Praktikum bei einer Kochzeitschrift.
■ Die Zahlen: Offizielle Zahlen zu FoodstylistInnen in Deutschland gibt es nicht. Wahrscheinlich sind es zwischen 100 und 200. Andere Quellen berichten von circa 350 FoodstylistInnen weltweit.
■ Der Verdienst: Was Anke Rabeler verdient, wollte sie nicht sagen – sie könne aber „gut“ von ihrem Beruf leben. Angestellte FoodstylistInnen verdienen zwischen 3.000 und 5.000 Euro netto.
■ Die Tricks: Zwar soll möglichst alles so natürlich wie möglich sein, aber es wird auch mit Glycerin, Holz, Styropor oder Gummi „geschummelt“. Wenn das Grillhuhn nicht braun genug ist, wird mit dem Gasbrenner nachgebräunt.
VON CHRISTIAN ROHM
Es wird ja überall gekocht – nur selten am heimischen Herd, lieber mit der virtuellen Tischgemeinschaft in TV-Kochshows oder beim Durchblättern von Kochbüchern. Beliebte Geschenke sind das, die oft im Regal verschwinden. Unbenutzt. Vielleicht liegt das daran, dass sie das Kochvergnügen hinter hohe Hürden stellen. Die Gerichte dort sehen immer so tadellos aus, dass das Gemansche auf dem eigenen Teller nur frustrieren kann. Keiner kriegt das so schön hin, wie es das Kochbuch zeigt – und das ist kein Wunder, denn die Gerichte auf den Abbildungen werden geschminkt, gepudert und drapiert wie Fotomodels. Und das sind sie auch.
Eine, die dafür verantwortlich ist, dass das Auge verführt wird, ist Anke Rabeler. Sie arbeitet seit zwölf Jahren als Foodstylistin. In ihrer Versuchsküche in Berlin-Kreuzberg ertüftelt sie Suppen, Torten, Braten und Beilagen, die nicht in erster Linie für den Verzehr da sind, sondern für die Dauer einer Fotoproduktion herhalten müssen. Gerade liegen auf der Arbeitsfläche vor ihr frisch gebackene Kekse. Die Rückseiten hat Rabeler mit Schokoguss bestrichen, nun verziert sie die Vorderseiten mit buntem Zuckerguss und Schokoperlen. Millimeterarbeit, Keks für Keks.
Anke Rabeler ist 48 Jahre alt, sie hat eine Ausbildung zur Hotelfachfrau absolviert und einige Jahre in dem Beruf gearbeitet. Ein Praktikum bei der Hamburger Zeitschrift essen & trinken brachte sie vom Weg zur Hotelfachschule ab. Sie entdeckte ihre Lust am Foodstyling und bekam einen Assistenzjob bei der – mittlerweile eingestellten – Zeitschrift schöner essen. Dort blieb sie ein paar Jahre und machte sich schließlich selbstständig. Erst in Hamburg, wo der Bedarf an Foodstylisten wegen der vielen dort ansässigen Kochzeitschriften am größten ist, seit 2003 in Berlin, wo sie Kressesüppchen, Gemüsecurry und Apfelstrudel für Agenturen, Kochbücher und -zeitschriften sowie Hersteller von Tiefkühlprodukten auf den Teller bringt.
Anke Rabelers Spezialität ist das Backen – eine Tätigkeit, die unter Foodstylisten eher unbeliebt ist. „Backen ist schwieriger, schon Kleinigkeiten können ein Gericht zerstören“, erklärt Rabeler. „Beim Kochen kann man viel leichter etwas retten.“
Bei einem Fotoshooting werden pro Tag etwa fünf Gerichte fotografiert, anderthalb Stunden pro Foto. Viel länger dauert das Porträt eines Menschen auch nicht. An diesem Nachmittag fotografiert Antje Plewinski die Kekse, mit ihr arbeitet Anke Rabeler oft zusammen. Auftraggeberin ist eine Bildagentur.
„Das sieht noch zu ordentlich aus, man müsste die Kekse ein bisschen durcheinanderbringen“, sagt die Fotografin, als sie Rabelers Arrangement betrachtet. Als Plewinski um den Keksteller eine gestreifte Serviette und eine rote Tulpe drapiert, ist hingegen die Stylistin unzufrieden: „Zu piefig.“ Am Ende ersetzen sie den Teller durch ein Stück Birkenrinde, dann durch einen anderen Teller. Sie probieren Servietten in verschiedenen Farben und Mustern aus und lassen die Tulpe weg. Auf dem fertigen Foto hat das Arrangement etwas Zufälliges. Es gibt keinen Hinweis auf die Inszenierung. „Das ist das Ziel, die fertige Aufnahme soll lebendig wirken, nicht steril“, sagt Antje Plewinski.
Die Stylistin ist Künstlerin. Sie muss tricksen und manipulieren, damit das Essen vorzeigbar wird, damit es Lust macht, nachgekocht zu werden, auch wenn das tatsächlich kaum jemand macht. Aber: Rabeler ist zurückhaltend mit der Bearbeitung der Sachen, die bei ihr auf den Tisch kommen. „Der Trend geht hin zur Natur“, sagt sie. Der Konsument wolle das Echte sehen. Also kein Haarspray auf der Kuchenglasur, kein Rasierschaum auf dem Eiskaffee? „Damit ist man lange durch. Die Branche hat sich verändert – auch durch die digitale Fotografie.“
Früher kamen Foodstylisten kaum um Rasierschaum herum, weil Sahne unter den heißen Lampen im Fotostudio zu schnell schmolz. Heute wird schneller gearbeitet, Sahne geht. Andere Zutaten sind sensibler, da muss Rabeler nachhelfen: „Wenn ein Salatblatt immer wieder umknickt, fixiere ich es mit Fotoknete.“ Suppenteller befüllt sie mit einer Masse aus Grieß und Wasser, um eine Füllhöhe zu erreichen, bei der die Einlage einer Suppe – Kartoffeln oder Fleisch – nicht an der Schräge des Tellers abrutscht. „Das sind aber alles Kleinigkeiten, mit Haarspray beispielsweise habe ich noch nie gearbeitet“, erzählt Rabeler. Die Speisen, die sie anrichtet, lässt sie erkalten, bevor die Fotografin kommt. So kann sie sicher sein, dass sich ihr Zustand während der Arbeit nicht verändert und sich nicht etwa eine Haut auf der Soße bildet. Dennoch muss schnell und auf den Punkt gearbeitet werden, sonst lässt das Material nach: Die Sahnetorte wird matschig, der Spinat matt, das Fleisch sackt zusammen.
Die Kochbücher, an denen sie beteiligt war, füllen in ihrem Büro eine komplette Regalwand: „Kleine Modetorten“, „Vegetarisch von A bis Z“, „Schüsselkuchen“, „Kühlschranktorten“, „Blitz-Muffins“ – wer soll das alles nachkochen, nachbacken?
Rabeler gibt sich keinen Illusionen hin: „Ich glaube, viele Menschen kaufen sich Kochbücher nur zum Durchblättern. Es gibt immer mehr Kochbücher, aber immer weniger Leute, die kochen.“ Sie weiß, dass auch die Bücher, an denen sie mitgearbeitet hat, oft nur dekorativ in der Küche herum stehen: „Kochbücher dienen oft nur dazu, schön auszusehen und Regale zu füllen.“
Sie tüftelt tagelang an Rezepten, rückt ihre Objekte ins rechte Licht – und am Ende verstaubt das Ergebnis ihrer Bemühungen im Regal. Ist das nicht unbefriedigend? „Nein, selbst wenn die Leute nur durch ein Kochbuch blättern und Freude an den Bildern haben, hat meine Arbeit einen Sinn gehabt.“ Das Auge isst mit, manchmal isst nur das Auge.
Wenn Rabeler ihre Versuchsküche verlässt, fällt all die Sorgfalt und Mühe mitunter von ihr ab. Dann will sie nur noch satt werden: „Da reicht mir auch schon mal ein stinknormales Käsebrot.“