Der Fotograf als Dandy mit Hut und Tuch

NACHRUF Am Montag starb der große Schweizer Fotograf René Burri im Alter von 81 Jahren

Es braucht nicht viel, um die Menschheit zu spalten. Waren es bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein noch längere Pamphlete und Manifeste, so reichten fortan bereits kleinere Bilder. Eines dieser Bilder hat Anfang 1963 der Schweizer Fotojournalist René Burri gemacht. Es zeigt den damaligen kubanischen Industrieminister und Nationalbankchef Ernesto Guevara. Vor einem Lamellenvorhang sitzend und mit einer dicken Lonsdale im Mund wirkt dieser so stolz und so unruhig wie der berühmte Panther aus dem Gedicht von Rilke. Es ist ein prophetisches Foto. Wenige Monate nach der Raketenkrise entstanden, scheint es das spätere Schicksal des Revolutionärs im Kern bereits vorwegzunehmen. Das glaubte auch René Burri selbst, der in seinem Che-Bild noch Jahrzehnte nach dessen Tod ein Stück „Sprengstoff“ zu sehen meinte. „Che Guevarra ist noch immer das meistgehasste und meistgeliebte Idol der Welt“, gestand Burri in einem Interview vor sechs Jahren. Im Auftrag des amerikanischen Magazins Look hatte Burri mit einem einzigen Bild also Linke wie Rechte, Junge wie Alte gespalten.

Mit Spaltungen kannte sich der 1933 in einfache Verhältnisse hineingeborene Schweizer irgendwie aus. 1962 bereits, ein Jahr nach dem Bau der Berliner Mauer, hatte Burri ein Buch veröffentlicht, das sich mit nicht weniger als mit der Spaltung der damaligen Welt beschäftigt hatte: „Die Deutschen“, so der Titel dieses Bildbands, war eine Bestandsaufnahme der Nachkriegsgesellschaft in Ost wie West. Es zeigte Bilder vom grauen Nachkriegsmief. Vom Aufbruch zwischen Rock ’n’ Roll und Sozialismus. Nicht von ungefähr erinnerten diese frühen Aufnahmen stilistisch stark an das Werk seines Landsmanns Robert Frank. „Die Deutschen“ wie „The Americans“ wurden in den Folgejahren zu Fotobuchklassikern. Und noch eine Gemeinsamkeit gab es zwischen Frank und Burri: Die Schweizer Enge erdrückte sie. Dabei war es für Burri dennoch die Fotografie seiner Heimat, die seinen Blick auf die Welt geprägt hatte. In den frühen 50er Jahren bereits hatte er in Zürich bei dem neusachlichen Fotografen Hans Finsler an der Kunstgewerbeschule studiert. Später pflegte er eine enge Freundschaft zu dem Schweizer Bildjournalisten Werner Bischhof. So eng, dass er bald sogar die Witwe des 1954 verstorbenen Kollegen ehelichte.

Mitglied von Magnum

Bischhof soll es auch gewesen sein, der René Burri in Kontakt zur Pariser Bildagentur Magnum Photos brachte. 1956 wurde er dort korrespondierendes Mitglied, drei Jahre später folgte die Vollmitgliedschaft. Seither reiste er im Auftrag der Agentur und für Magazine wie Life oder Paris Match um die halbe Welt. Seine Fotostrecken aus China, Israel oder den Vereinigten Staaten sind zu Meilensteinen der modernen Bildreportage geworden. Besonders seine oft grafischen Kompositionen, in denen selbst Aufnahmen aus dem Sechstagekrieg noch wie abstrakte Gemälde erschienen, machten ihn zu einem der großen Fotoreporter des 20. Jahrhunderts.

Manche Kritiker indes warfen ihm auch eine zu starke Ästhetisierung der Wirklichkeit vor. Für sie war Burri eher ein Dandy und Feingeist. Einer, der nie ohne Hut und Tuch das Haus verließ und der sich in der Freizeit lieber mit Collagen und Grafiken denn mit der rauen Realität beschäftigte. Seinen Ruf allerdings, neben Robert Capa oder Henri-Cartier Bresson einer der letzten Dinosaurier von Magnum Photos gewesen zu sein, wird das nicht schmälern. Am Montag ist René Burri im Alter von 81 Jahren einem langjährigen Krebsleiden erlegen. RALF HANSELLE