Stein für Stein

Im Team Gerolsteiner, Arbeitgeber des geständigen Christian Henn, glaubt man noch an das Gute im Radsport. Auch anderswo wird eifrig am Wiederaufbau der Mauer des Schweigens gearbeitet

Die Epo-Epoche gilt als der Höhepunkt der Dopinggeschichte im Radsport. Doch gedopt wurde schon lange vorher – auch von den ganz Großen der Szene. Der Italiener Fausto Coppi war so etwas wie der erste Superstar des Radsports. Er hat zwischen 1940 und 1953 fünfmal den Giro d’Italia und zweimal die Tour de France gewonnen. Dafür hat er ein Hilfsmittelchen verwendet, das er „La Bomba“ nannte. Es war ein Amphetaminpräparat. Rudi Altig, als Weltmeister von 1960 der erste westdeutsche Radsportheros, hat seine Pillen, die ihm den Spitznamen „rollender Apotheker“ eingebracht haben, als „Knallerbsen“ oder „schnelle Pulle“ bezeichnet. Das überflüssigste Geständnis eines Exprofis kam dieser Tage von Didi Thurau (Foto). Der ist in seiner Laufbahn oft erwischt worden und darf getrost als überführt angesehen werden. Während der Tour de France 1980 wurde er positiv getestet – zum dritten Mal in jenem Jahr.

Eddie Merckx, der wohl erfolgreichste Profi aller Zeiten, soll regelmäßig mit Kortikoiden experimentiert haben. Der fünffache Tour-Sieger soll 1969 vom offiziellen Rundfahrtarzt persönlich Dopingmittel erhalten haben. Im selben Jahr war er wegen Dopings vom Giro d’Italia ausgeschlossen worden. Einen der dreistesten Versuche, das Doping zu verschleiern, unternahm der Belgier Michel Pollentier bei der Tour 1978. Gerade ins Gelbe Trikot geschlüpft, pumpte er aus einem unter der Achsel angebrachten Kondom fremden Urin ins Röhrchen für die Dopingkontrolleure. Ende der 80er-Jahre begannen dann die Experimente mit dem Blutdopingmittel Epo, das seit der 90ern systematisch verabreicht wurde. In dieser Epoche gewann Jan Ullrich 1997 die Tour. Danach war Lance Armstrong siebenmal erfolgreich. ARUE

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Christian Henn wird weiterarbeiten beim Team Gerolsteiner. Der ehemalige Telekom-Profi, der einen Tag nach Bert Dietz’ TV-Geständnis ebenfalls zugegeben hat, in das Dopingsystem des Bonner Radrennstalls eingebunden gewesen zu sein, muss sich um seinen Job als sportlicher Leiter des deutschen Profi-Teams mit dem Mineralwasserlabel auf den Trikots keine Sorgen machen. Hans-Michael Holczer, der Gerolsteiner-Teamchef, sagt, er freut sich über alles, was auf den Tisch kommt. „Ich habe nie etwas von einem festgelegten Kodex gehört, aber ich habe natürlich auch gemerkt, dass nie jemand etwas gesagt hat.“ Holczer, dessen Team seit 1999 im Rennzirkus mitmischt, redet wie ein Außenseiter der Szene. Er zeigt sich empört, entsetzt und mimt den Gutgläubigen.

„Wenn ich nicht wüsste“, sagte er der taz, „dass es auch ohne Doping geht, dass es möglich ist, auch die Tour de France sauber zu fahren, dann würde ich sofort aufhören.“ Sein Ziel ist es, den Radsport zu einer normalen Sportart zu machen. „Damit meine ich nicht, dass der Radsport ganz dopingfrei sein wird, das glaube ich auch nicht.“ Nicht normal war für Teamchef Holczer die Blutdopingpraxis, die der spanische Arzt Eufemiano Fuentes organisiert hat. „Wenn wir den Fall Fuentes nicht vom Tisch bekommen, dann sehe ich schwarz“, sagt Holczer.

Er selbst hält seine Truppe für absolut sauber. Ein eigenes medizinisches Überwachungsprogramm, wie es das T-Mobile-Team oder der dänische Rennstall CSC des Ex-Telekom-Profis Bjarne Riis ins Leben gerufen haben, gibt es bei Gerolsteiner indes nicht. „Das mag jetzt blauäugig klingen“, erklärt Holczer, „aber ich habe meine Grundhaltung von Anfang an klar und deutlich gemacht und ich denke, dass das auch bei den Fahrern so angekommen ist.“ Im einzigen Dopingfall des Rennstalls, dem des 2005 positiv auf das Stimulans Carphedon getesteten Danilo Hondo, habe man „kompromisslos“ gehandelt und sich vom ertappten Profi getrennt. Holczer wähnt den Radsport auf dem richtigen Weg, er preist das Kontrollsystem des internationalen Radsportverbandes UCI, der so viele Kontrollen nehme wie kaum ein anderer Verband. Auch die Stimmung bei den Treffen der Chefs der ProTour-Teams stimmen Holczer zuversichtlich. Im Gegensatz zu Christian Frommert, dem Telekom-Sprecher, der sich tags zuvor noch über das mangelnde Engagement der meisten Renngruppen beklagt hatte, sieht Holczer hier überaus große Fortschritte. Noch wähnt er sogar das Publikum auf der Seite der Radler: „Sie merken keinen Unterschied, was das Zuschauerinteresse angeht.“

Holczer ist indes nicht der Einzige, der noch an die Selbstreinigungskraft des Sport glaubt. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Thomas Bach, forderte als Reaktion auf die Dopinggeständnisse der Radsportler weitere Athleten auf, dem Beispiel Henns und Dietz’ zu folgen. Forderungen nach einer Amnestie für geständige Profis lehnte er indes ab. Der Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Peter Danckert (SPD), hatte eine solche gefordert. „Wer ein umfassendes Geständnis ablegt und sich an der Aufklärung beteiligt, muss die Chance für einen Neuanfang im dann dopingfreien Radsport erhalten“, sagte der Sportpolitiker. Zudem forderte er ARD und ZDF dazu auf, ganz auf die Radsportberichterstattung zu verzichten, „so lange, wie nicht der Sport selbst reinen Tisch gemacht hat“.

Der Vorsitzende der ARD, Fritz Raff, wies derartige Forderungen zurück und meinte, dass investigative Recherche in seinem Haus dazu geführt habe, dass sich Sportler jetzt outen würden. Er glaube, dass der Radsport mit Nachdruck darum bemüht sei, für Sauberkeit zu sorgen. Dass daran wirklich alle Interesse haben, darf getrost bezweifelt werden. Der Teamchef der zweitklassigen Renngruppe Wiesenhof-Felt, Jens Heppner, setzte gestern die ersten neuen Steine in die Mauer des Schweigens, von der viele glaubten, sie sei am Bröckeln. Der Exprofi, der von 1992 bis 2002 für Team Telekom in die Pedale getreten ist, habe vom systematischen Doping in seinem Team nichts mitbekommen, sagte der ehemaligen Domestike von Jan Ullrich und Bjarne Riis. Auf Dietz zeigte er mit dem Finger: „Wenn er gedopt hat, ist das allein sein Problem.“ Auch Uwe Ampler, bis 1994 Kollege von Heppner bei Telekom, stritt im Gespräch mit der taz ab, von Doping etwas gewusst zu haben. Andere ehemalige Telekom-Fahrer wie Steffen Wesemann, Georg Totschnig und Danilo Hondo bestritten gleichfalls jede Beteiligung an Dopingpraktiken.