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Archiv-Artikel

Das Credo: „Nichts wie raus hier“

Patienten fliehen aus der Fuldaer Salmonellen-Klinik. Heute Ausschusssitzung

FULDA taz ■ Gottvertrauen ist im katholischen Bistum Fulda eine traditionell weit verbreitete Tugend. Vom Glauben an die Fähigkeiten der „Götter in Weiß“, die seit knapp einem Monat grassierende Salmonellenepidemie am städtischen Klinikum endlich in den Griff zu bekommen, sind dagegen viele kranke Menschen in der Region längst abgefallen – trotz der 2.000 neuen Bibeln, die der Klinik gerade erst von einer vorausschauenden kurhessischen Bibelgesellschaft geschenkt wurden. Wer laufen kann und nicht auf eine für das Überleben unbedingt notwendige Operation wartet, flüchtet aus der Bettenburg auf dem Petersberg. Einweisungstermine von Hausärzten werden von Patienten reihenweise storniert: Abwarten und daheim beten.

Die Bettenauslastung des größten Krankenhauses der Region mit seinen 800 Betten liegt aktuell um 40 Prozent unter dem Durchschnitt. Auf Dauer gehe das an die ökonomische Substanz, heißt es. Stefan Burghard leitet die Kommunikationsabteilung der Klinik und steht „unter Megastress“. Medienvertreter aus ganz Deutschland würden ihm „die Bude einrennen“. Und Kamerateams blockierten die Wege zum Klinikum, um dort täglich „Patienten abzupassen und auszuquetschen“, lamentiert er.

Die Patienten nämlich reden – im Gegensatz zu Burkhard – ausgesprochen gerne mit Journalisten. „Nichts wie raus hier!“ Das war gestern Vormittag das Credo der vor dem Krankenhaus auf ihren gepackten Koffern sitzenden Klinikflüchtlingen, die auf ihre Angehörigen oder die Taxifahrer warteten. Noch weitere drei Tage zur Beobachtung habe er nach einer Operation im Krankenhaus bleiben sollen, berichtet ein älterer Herr. Bis jetzt hätten ihn die Salmonellen „nicht erwischt“. Und damit das nicht doch noch passiere, verlasse er jetzt vorzeitig und „auf eigene Verantwortung“ die Klinik. Eine junge Frau mit einem Einweisungsschein meldet sich erst gar nicht mehr am Schalter für die Aufnahme an. Nach der Lektüre eines Infoblattes, das am Eingang an alle Besucher verteilt wird, macht sie auf dem Absatz kehrt – nicht ohne sich an einem provisorisch aufgestellten Spender am Ausgang noch schnell die Hände zu desinfizieren.

Tatsächlich taugt das Papier kaum zur Beruhigung von Patienten und Angehörigen. Die entscheidende Frage nämlich, ob man ins Klinikum kommen könne, ohne krank zu werden, wird nicht beantwortet: „Durch exakte Beobachtung der mit den zuständigen Behörden abgesprochenen Sicherungsmaßnahmen wird alles getan, um ein erhöhtes Infektionsrisiko für die Patienten auszuschließen“, heißt es lapidar – und regressresistent. Kein wirklicher Mutmacher.

Inzwischen sind 265 Menschen – Mitarbeiter und Patienten – in der Klinik und im angeschlossenen Altenwohnheim infiziert. Vier Frauen aus der Klinik und vier aus dem Stift Heilig Geist verstarben seit dem Ausbruch der Epidemie Ende April. Wie viele von ihnen an den Salmonellenbakterien und den noch aggressiveren Noroviren – die Symptome sind die gleichen – oder an ihren Grunderkrankungen, ist weiter strittig. Und dass als Nachtisch in der Personalkantine gereichter „Apfelschnee“ die erste Welle der Epidemie ausgelöst habe ist auch keine Beruhigung für die 2.600 Mitarbeiter des Klinikums – und schon gar nicht für Patienten.

Im Gegenteil. Neue Fragen werden jetzt gestellt. Etwa vom SPD-Landtagsabgeordneten Thomas Spies an die Adresse von Sozialministerin Silke Lautenschläger (CDU): „Warum erfolgte der Nachweis so spät? Wie erklärt es sich, dass Patienten und Mitarbeiter zeitgleich erkrankten? Und wieso erkrankten auch Menschen im Altenheim, obwohl diese nicht die Kantine in der Klinik nutzten?“ Im Sozialausschuss heute werden von Lautenschläger Antworten erwartet. Die Ministerin ordnete inzwischen schon einmal an, dass alle Mitarbeiter des Klinikums zu untersuchen seien. Die Stuhlanalyse läuft – und kann noch Wochen dauern.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT