: Ring frei mit viel Lametta
KÄMPFEN Die fünfte Berliner Kiezboxgala im Astra Kulturhaus wird mit Hertha BSC gegen Trabzonspor erstmalig international. Sonst hat sich am Konzept eigentlich nichts geändert: Laut soll es werden, voll und burlesque
Die fünfte Kiezboxgala wird international: Am Samstag tritt in Kreuzberg Hertha BSC gegen Trabzonspor an. Musikalische Highlights sind Earl Zinger & Don Rogall (Rock ’n’ Roll) sowie Les Femmes Brachiales und DJ Han Shock. Zum Aufwärmen präsentiert die Edition Festsaal bereits am Abend zuvor ab 19 Uhr einen Musikabend der Spitzenklasse. Es spielen Die Goldenen Zitronen und Andreas Dorau. Danach Aftershowparty mit Erobique (live), Shir Khan und DJ Jack Tennis.
■ Edition Festsaal: Astra Kulturhaus, Revaler Str. 99, 24. 10., Einlass 19 Uhr, Tickets: 10/13 €
■ Kiezboxgala International: Astra Kulturhaus, Revaler Str. 99, 25. 10., 20 Uhr, Tickets ab 21 €, www.fsk-boxing.com
VON BERND PICKERT
Marlon Tunger ist 20 und steht schon im Boxring, seit er 12 ist. 67 Kämpfe hat der Amateur schon bestritten, davon 47 gewinnen können – und trotzdem wird das am kommenden Samstag etwas ganz Besonderes sein, wenn Marlon als einer von sechs Boxern einer Berliner Auswahl gegen die angereisten Kämpfer aus dem türkischen Trabzon antritt. Denn das ist kein Sonntagvormittag in irgendeiner neonbeleuchteten Turnhalle – es ist Samstagabend, und es ist die 5. Berliner Kiezboxgala, eigentlich beheimatet im Festsaal Kreuzberg. Aber der ist abgebrannt. Jetzt heißt es „Ring frei“ im Astra Kulturhaus in der Revaler Straße.
Für die Veranstalter Elisa Mishto und Björn von Swieykowski ist das eine doppelte Premiere: Zum ersten Mal tritt nicht ein Berliner Bezirk gegen einen anderen an, sondern Berlin gegen Trabzon, und zum ersten Mal auch hat nicht Mishto, die Veranstalterin, Filmemacherin, Videokünstlerin und Exboxerin, die Kämpfe zusammengestellt. Weil manche der Amateurboxer nach ihrer Teilnahme an den ersten Kiezboxgalas Ärger mit dem Boxverband bekamen, haben Mishto und Swieykowski diesmal die Zusammenarbeit mit dem Verband gesucht – das hat geklappt.
Am Konzept aber hat sich sonst nichts geändert. Voll soll es werden und laut. Burlesque-Künstlerinnen Coco Clownesse und Rosie Riot – alias Les Femmes Brachiales – geben die Nummerngirls und schenken bei einem K. o. Wodka an die ersten Reihen aus. Earl Zinger & Don Rogall machen Musik in den Rundenpausen. Das Kampfgeschehen moderiert Marcus Staiger. Es sind, sagen Mishto und Swieykowski, eigentlich immer zwei Abende in einem, Show und Sport. Das gibt es so sonst nirgends.
Marlon Tunger wird von alledem kaum etwas mitbekommen. Er trainiert neben seiner Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann so gut wie jeden Tag – zumeist mit seinem Vater Bert. Der 54-Jährige hat den Sohn zum Kampfsport gebracht. Als Marlon elf war, nahm er ihn zum ersten Mal mit ins Gym – und Marlon fing sofort Feuer, gab Tennis auf und wechselte zum Boxen. Wenn er im Frühjahr mit der Ausbildung fertig ist, überlegt er einen Wechsel ins Profilager – aber nur, wenn er dort auch erfolgreich sein kann. Ein ewiger Aufbaugegner für andere, der sich regelmäßig für Geld von aufstrebenden Boxern verprügeln lässt – das will er auf keinen Fall sein. Das fände wohl auch seine Mutter Martina nicht so toll. Auf die Frage, ob sie eigentlich keine Angst habe, wenn ihr Sohn im Ring steht, zuckt sie mit den Schultern und sagt grinsend: „Na ja, wenn er jetzt immer einstecken müsste …“. Wenn Marlon austeilt, ist das ganz okay. Martina ist bei allen Kämpfen dabei, meist auch beim Training. Jetzt aber scheucht Vater Bert Marlon durch den Ring, Pratzentraining, Sparring, Bewegungsabläufe einüben. Marlon boxt im Rückwärtsgang, lässt seinem Gegner die Ringmitte, kontert. So die Taktik. Und er wechselt von der Normal- in die Rechtsauslage und wieder zurück. Damit kommen viele Gegner nicht klar – ein Vorteil für ihn. Sein sportliches Vorbild: Na ja, Muhammad Ali, klar, aber vor allem: sein Vater. Der gibt immer 100 Prozent, aber mit dem kann er auch reden. Am Samstag wird er, natürlich, bei Marlon in der Ecke stehen.
In diesen Wochen trainiert Marlon oft im Isigym in der Potsdamer Straße, ein paar hundert Meter weg vom „Sozialpalast“ in der Pallasstraße. Hier üben regelmäßig bis zu 200 Sportler unter Leitung von Izzet Mafratoglu. Der 49-Jährige, in der Türkei geboren, in Berlin aufgewachsen, hat das Gym seit 1998 aufgebaut und zu einer Anlaufstelle im Kiez gemacht, die mehrfach für ihre soziale Integrationsfunktion ausgezeichnet wurde. Im Erdgeschoss des zweistöckigen Gyms trainiert gerade Mateusz Seyfallah Okbi, bisschen Sandsack, bisschen Schattenboxen. Der 23-Jährige, in Polen als Sohn eines Tunesiers und einer Polin geboren, lebt seit 1997 in Berlin. Das Isigym ist sein zweites Zuhause – wann immer es geht, ist er hier und trainiert. Auch er wird am Samstag in den Ring steigen – er freut sich darauf.
Und sie alle, die sie im Isigym trainieren, sind gespannt auf den Chef persönlich – denn auch Izzet Mafratoglu will es noch einmal wissen. In einem Duell Trainer gegen Trainer tritt Izzet, der selbst aus Trabzon stammt, gegen Nejat Kalayci an, den Trainer von Olympia 75 in Friedenau. Izzet hat über 100 Kämpfe aktiv bestritten, eigentlich unterrichtet er nur noch. Aber er liebt und lebt Boxen und ist traurig, wie der Sport in Deutschland am Aussterben ist.
Genau darum ging es wohl auch den Veranstaltern der Kiezboxgala. Mishto und Swieykowski mögen Boxen – aber ihr normales Konzertpublikum, wie sie es aus dem Festsaal kennen, geht da nicht hin. Deshalb haben sie vor ein paar Jahren das Boxen in den Festsaal geholt – und die Leute waren begeistert. Boxen und Burlesque, K. o.s, Musik und Party – es wird laut werden und rauschend am Samstag im Astra.