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Archiv-Artikel

„Knut-Berichte verblenden die Menschen“

Die Öffentlichkeit muss in Sachen Tierversuche aufgerüttelt werden, sagt Tierversuchsgegner Rainer Gaertner

RAINER GAERTNER, 55, gründete mehrere Tierschutzvereine und ist Vorsitzender des Bundesverbands der Tierversuchsgegner. Er lebt in Wiehl.

taz: Herr Gaertner, der Tierpark Recklinghausen hat Affen an ein Versuchslabor abgegeben. Ist das ein Skandal?

Rainer Gaertner: Ein Tierpark dient eigentlich dazu, Arten zu erhalten. Wenn er Tiere abgibt mit dem Wissen, dass diese gequält und getötet werden, ist das empörend. Ich kenne nur einen vergleichbaren Fall aus den Achtzigern aus dem Zoo Hagebeck. Was oft vergessen wird: Die meisten Tierparks werden aus öffentlichen Mitteln finanziert und da hat der Bürger ein gehöriges Mitspracherecht.

Die „Bild“ skandalisiert den Fall und klagt alle Tierfolterer der Welt an. Freuen Sie sich über diesen Mitstreiter?

Sicherlich. Die Öffentlichkeit muss mal wieder aufgerüttelt werden. In den 80er und 90er Jahren wurde viel berichtet über Tierversuche und über die mangelnde Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen. Die Recklinghäuser Affen sind nur die Spitze des Eisbergs: Über 10.000 Affen werden im Jahr von der EU für Versuche geopfert – vielfach aus Wildfängen, zum Beispiel aus Mauritius. Die werden auf bestialische Weise eingefangen, unter quälerischen Bedingungen transportiert, um hier in den Labors zu landen. Das prangern wir an. Auch weil die Versuche vielfach nur eine Alibifunktion haben.

Was meinen Sie damit?

Sie dienen oft der Profilierung der Wissenschaftler, die über Experimente an Tieren promovieren und habilitieren. Und die Industrie stützt sich auf Tierversuche, weil sie dann bei Nebenwirkungen besser aus der Haftung kommt – zumal der Gesetzgeber für bestimmte Bereiche Tierversuche sogar vorschreibt. Trotz der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz 2002 steigt zurzeit die Zahl der Versuche.

Inwiefern hilft der derzeitige Hype um den Eisbären Knut den Tierschützern?

Die Aufmerksamkeit der Bürger auf bestimmte symbolträchtige Tiere ist an sich nicht schlecht. Auf der anderen Seite verblendet diese Art der Berichterstattung die Menschen. Sie laufen dann in den Tierpark und sehen nur das, was sie sehen wollen. Dabei werden die Tiere in den Zoos zum Teil tierschutzwidrig gehalten. Wenn sich daran in den letzten Jahren überhaupt etwas verbessert hat, dann vor allem wegen der kritischen Öffentlichkeit. Der Bürger kann schon etwas tun – auch gegen Tierversuche: Wenn er sich als kritischer Patient zum Beispiel der sanften Alternativmedizin bedient. NATALIE WIESMANN