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Archiv-Artikel

Nicht suchen, nichts finden

KRIMINALITÄT Stuttgart ist eine deutsche Hochburg der Mafia – und Schauplatz eines gigantischen Bauprojekts. Anmerkungen aus italienischer Perspektive

Petra Reski

■ lebt als freie Autorin in Venedig. Zuletzt erschienen: „Von Kamen nach Corleone. Die Mafia in Deutschland“ (2010). Für ihr Anti-Mafia-Engagement wurde sie in Italien mehrfach ausgezeichnet. www.petrareski.com

Wenn es wie bei Stuttgart 21 um Großprojekte des Städtebaus geht, denkt in Italien jeder zuallererst an die Begierde, die diese bei den Clans auslösen. Öffentliche Aufträge sind ein Haupterwerbszweig der Mafia, nicht nur in Sizilien und Kalabrien, sondern zunehmend auch in Norditalien – wo zuletzt in Mailand die Expo 2015 für Aufregung sorgte.

Bei den Aufträgen für die Expo mit einem zu erwartenden Umsatz von 44 Milliarden Euro macht die Mafia das große Geschäft. Ein Bericht der Mailänder Finanzpolizei stellte fest, dass die Bauindustrie die Branche sei, die in Mailand am häufigsten von der Mafia – insbesondere der kalabresischen ’Ndrangheta – unterwandert sei.

Doch nicht bei uns!

Warum geht bei Stuttgart 21 niemand der Frage nach, ob nicht auch dort die Clans verdienen? Immerhin gilt Baden-Württemberg seit vierzig Jahren als eine Hochburg der Mafia in Deutschland. Es gibt viele Parallelen zwischen Norditalien und Deutschland, zwischen Stuttgart und Mailand, zwischen den Megaprojekten Stuttgart 21 und Expo 2015 – vor allem im Hinblick auf die Ignoranz: Sowohl in Norditalien als auch in Deutschland gibt man sich überzeugt, die Mafia sei ausschließlich ein Problem des rückständigen Süditaliens, der arbeitsame und aufrichtige Norden sei vor einer solchen Gefahr gefeit.

Der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU) wiegelte bereits im Jahr 2008 ab, als einige SPD-Abgeordnete im Landtag eine Anfrage zur Präsenz der Mafia in Baden-Württemberg stellten. Auch die Frage, ob die Aussagen italienischer Kollegen zuträfen, denen zufolge ein gewisser „M. L.“ in Baden-Württemberg tätig sei, wurde abschlägig beschieden. Man wagte nur, die Initialen des Gastronomen zu nennen, obwohl die damalige Freundschaft des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger zu dem Kalabrier bereits umfangreich dokumentiert wurde. Dessen Pizzeria in Stuttgart-Weilimdorf war die Stammgaststätte mancher CDU-Prominenter. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte gegen den kalabrischen Gastronomen erfolglos wegen Geldwäsche und Drogenhandels ermittelt. Er wurde wegen Steuerhinterziehung in Arrest genommen und musste nach einer Kautionszahlung von 2 Millionen Mark auf freien Fuß gesetzt werden. Später wurde er zu einer Bewährungsstrafe, der Rückzahlung der Steuerschuld und zu einer Geldstrafe von 250.000 Mark verurteilt. Inzwischen hat ein kalabrisches Gericht „M. L.“ mangels Beweisen vom Vorwurf der Mafiazugehörigkeit freigesprochen. Er feiere in Stuttgart wieder rauschende Feste und sei nach seinem Freispruch im Clan sogar aufgestiegen, bemerkte der BKA in seinem vertraulichen „VS-Bericht“ (nur für den internen Dienstgebrauch) über die ’Ndrangheta in Deutschland. Der Gastwirt bestreitet den Verdacht der Mafiazugehörigkeit.

Nur für den Dienstgebrauch

Günther Oettinger wurde zwischenzeitlich EU-Kommissar für Energie. Als Oettinger nach Brüssel umzog, verabschiedete ihn ein weiterer italienischer Gastronom mit den von der Bild-Zeitung zitierten Worten: „Schade, ein Freund geht.“ Dieser Gastronom wird im BKA-Bericht als Vertrauter von Oettingers kalabrischem Exfreund aufgeführt. „Kriminalpolizeilich“ sei dieser Gastronom noch nicht in Erscheinung getreten, vermerkt das BKA. Für Oettinger wie für viele andere bleibt Stuttgart 21 ein – auch was mögliche krimnielle Unterwanderung angeht – unhinterfragtes „Muss“, dies umso mehr, als er den Bahnhof nunmehr von höherer Warte aus betrachtet: „Ich glaube aus der europäischen Betrachtung, dass für Baden-Württemberg diese Maßnahme ein ganz klarer Vorteil ist.“

Doch hat eben auch die Mafia ein Interesse daran, dass Baden-Württemberg „dabei“ ist. Wie in Norditalien auch, kamen die Mafiaclans bereits in den sechziger Jahren nach Baden-Württemberg, im Gefolge der „Gastarbeiter“. Traditionell herrschen in Stuttgart und Umgebung vor allem zwei Clans der kalabrischen ’Ndrangheta, die der Farao und der Greco – die aus winzigen Dörfern in der Provinz Catanzaro stammen, aus Cirò, Cariati, Mandatoriccio. Sie haben Orte wie Stuttgart, Waiblingen, Ludwigsburg, Esslingen und Fellbach zu ihren Hochburgen ausgebaut.

Die Clans investieren schon lange in die legale Wirtschaft, wie der Oberstaatsanwalt Helmut Krombacher unterstreicht, der in Stuttgart die Abteilung für organisierte Kriminalität leitet. Die meisten Mafia-Ermittlungen seien heute Delikte der Wirtschaftskriminalität, weil Wirtschaftsdelikte lohnender seien als ein Bankraub und milder bestraft würden. In der Bauindustrie verdiene die Mafia Millionen, indem sie Lohnsteuer und soziale Abgaben hinterziehe. Natürlich wisse der große deutsche Bauunternehmer, der den italienischen Subunternehmer beauftragt, dass dieser die Arbeiten nicht für so wenig Geld ausführen könne: Schon aus dem Grunde, weil die Stahl oder Beton präzise Preise hätten, die mit legalen Mitteln nicht unterschritten werden könnten.

Bei den Aufträgen für die Mailänder Expo mit einem Umsatz von 44 Milliarden Euro macht die Mafia das große Geschäft

Der brave Bauunternehmer

Aber wie kann ein Staatsanwalt daraus einen in Deutschland gültigen strafrechtlichen Vorwurf machen? Warum sollte der deutsche Bauunternehmer nicht die billigste Firma nehmen? „Ich bin mir sicher, dass große Summen Geld aus Kalabrien nach Stuttgart fließen. Aber wir können ja keine anlassunabhängigen Finanzermittlungen“ machen, sagt Krombacher. Banken müssten erst ab 15.000 Euro eine Verdachtsanzeige wegen Geldwäsche machen. Oder wenn etwas auffällig sei. So etwas könne der Geldwäschebeauftragte melden, müsse er aber nicht. Nicht nur in Stuttgart, sondern auch in vielen anderen deutschen Städten gebe es keine Strukturermittlungen der italienischen Mafiaszene mehr, sagt Krombacher.

Was bedeutet, dass nicht mehr ermittelt wird, wie die Clans beschaffen sind, wer dazu gehört, wie sie ihr Geld verdienen. Wer mit ihnen zusammenarbeitet. Wie sie ihr Geld waschen. Wer sie deckt. Wer ihnen Bürgschaften des Landes verschafft oder europäische Fördergelder. Es werden keine V-Männer mehr eingeschleust, kein Mafioso wird mehr beschattet, abgehört, kontrolliert. Und weniger Ermittlungen ergeben weniger Delikte. Jedenfalls für die Statistik. PETRA RESKI