: Sensation auf Eistüten
VW-ATTRAKTION Für das Wolfsburger Phaeno ist der Volkswagen-Konzern Sponsor – und Publikumsmagnet: Auf die Wissenschaftsschau folgt der Besuch in der Autostadt
Als das Phaeno im November 2005 eröffnete, überschlugen sich die Medien: 1.500 Print-Veröffentlichungen und 120 Minuten Beitragslänge in 40 bundesdeutschen Fernsehberichten zählte die hauseigene Pressestelle. Grund war die spektakuläre Architektur, die da nach Wolfsburg kam: Sie hatte im Jahr zuvor der irakisch-britischen Architektin Zaha Hadid, deren Entwürfe als unrealisierbar galten, den Pritzker-Preis beschert, so etwas wie der Nobelpreis des Bauwesens.
Die britische Tageszeitung The Guardian zählt das Phaeno zu den zwölf bedeutendsten modernen Bauwerken weltweit – neben dem Empire State Building in New York oder der Oper in Sydney. Hierzulande wird es von einer Architekturroute zu neueren Museumsbauten berücksichtigt, so wie etwa Frank Gehrys „MARTa“ in Herford oder das Jüdische Museum Berlin.
Frei gehaltene Stadt
Acht windschief auf den Kopf gestellte, Eistüten ähnliche Kegelstümpfe – die „Cones“ – stemmen den Ausstellungsbereich rund sieben Meter über den Boden. Sein fünfeckiger Baukörper mit der markanten Spitze Richtung Bahnhof sichert sich die Lufthoheit über einen strategisch wie auch symbolisch wichtigen Ort der Stadt: die Nahtstelle zwischen dem öffentlichen Zentrum diesseits des Mittellandkanals– und dem VW-Konzern jenseits davon. Dieses Stück Stadt nicht plump mit einem Erdgeschoss verbaut zu haben, sondern einen zwar etwas düsteren, zugigen und die Kontroverse herausfordernden, aber eben auch jedermann zugänglichen Raum frei zu halten: Das ist die eigentliche Sensation.
Wie versprengt urbane Partikel bergen die Kegelfüße das knappe Foyer, ein Restaurant, den Mehrzwecksaal, das Wissenschaftstheater – alles ist beiläufig in einem allseits offenen, modellierten Raumfluss verortet, der „Cone Hall“. Die Stadt Wolfsburg, Bauherr und Träger der Einrichtung, zeigte hier eine längst verloren geglaubte Kühnheit der öffentlichen Hand, vergleichbar vielleicht der Beauftragung Alvar Aaltos und Hans Scharouns in den Nachkriegsjahrzehnten.
Den Ausstellungsbereich im Obergeschoss erreicht man per Rolltreppe oder Aufzug. Der Raum enttäuscht: zu niedrig, undifferenziert in der Beleuchtung, das Stahltragwerk der Decke erschlägt einen förmlich, und die eigentlich wichtigen Fenster Richtung Süden – zur Stadt also – sind abgedunkelt. Auf 6.000 Quadratmetern Fläche erwarten die Besucher derzeit rund 350 interaktive Experimentierstationen: vom spektakulären Feuertornado bis zur elementaren Murmelbahn. Ihr Aussehen: eher handwerklich robust denn ästhetisch aufregend.
Programm im Umbau
Etwa 25 der Stationen gehören zur aktuellen Sonderausstellung. Aus dem unendlichen Fundus der Naturwissenschaft und Technik formuliert man jedes Jahr ein großes Extrathema, derzeit: „Luffffft – federleicht und tonnenschwer“, dazu mehrere kleinere, teils übernommen aus vergleichbaren Einrichtungen. Zehn bis zwanzig Prozent der Stationen werden jährlich erneuert, auch dies häufig im wechselseitigen Austausch.
Seit vor einem Jahr Michel Junge vom Technorama Winterthur die Leitung des Phaeno übernahm, setzt man verstärkt auf die Kooperation mit der Schweiz. Das Publikum scheint den Aufwand zu danken: Seit Jahren sind es konstant 270.000 Besucher, also rund 750 pro Tag, im ersten Jahr nach der Eröffnung kamen 300.000. Sie reisen größtenteils aus einem Radius von rund 200 Kilometern an, also auch aus Hamburg und Bremen.
Die Schulklassen kommen
Aber die Architektur, nach wie vor in speziellen Führungen vermittelt, kann den ungebrochenen Zuspruch so wenig erklären, wie es das ständig aktualisierte Programm oder das offensive Marketing können: Das Phaeno profitiert vom großen Publikumsmagneten in fußläufiger Nähe: der Autostadt des VW-Konzerns mit seinen 2,2 Millionen Besuchern pro Jahr. So gibt es Kombitickets, und sogar Schulklassen – denen das Phaeno, ministeriell attestiert, als außerschulischer Lernort dient – besuchen im Anschluss gern die Fahrzeugwelt.
VW ist Sponsor, eine Symbiose, die sich derzeit sogar gastronomisch niederschlägt: Seit das Phaeno vor drei Monaten sein Restaurant selbst zu bewirtschaften begann, steht hier die legendäre VW-Currywurst auf der Karte. Weniger inhaltlich als räumlich sind die Synergien, die das Phaeno mit benachbarten Designer-Outlets pflegt, etwa für verkaufsoffene Wochenenden. Es steht zudem als Location bereit: Das gesamte Ausstellungsgeschoss kann für Veranstaltungen gemietet werden. Etwa einmal im Monat wird es ab 17 Uhr freigeräumt und hergerichtet, häufig für repräsentative Banken-Veranstaltungen. Am nächsten Morgen ist dann wieder ganz normal geöffnet.
Diese Flexibilität, ungewöhnlich für eine kommunale Einrichtung, trägt mit zum hohen Eigenanteil der Finanzierung bei. Man operiere in anderer Größenordnung als etwa ein Kunstmuseum, heißt es aus der Pressestelle. Statt Zahlen ist zu erfahren, dass das Phaeno – auch wenn eine Stiftung das Grundkapital sichert – selbstverständlich öffentliche Zuschüsse erhält. Ein Ratsbeschluss sorgt nun noch für die Fertigstellung der Freianlagen: 2015, wenn die Tiefgarage darunter endlich regendicht sein soll, werden Sitzinseln installiert. BETTINA MARIA BROSOWSKY