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Archiv-Artikel

Größte anzunehmende Unzuständigkeit

KOMPETENZSTREIT Im Falle eines Atom-GAUs wäre die Senatsverwaltung für Arbeit von Dilek Kolat (SPD) federführend. Doch dort ist niemand auf den Katastrophenfall vorbereitet

VON SEBASTIAN HEISER

Um den Super-GAU kümmert sich in Berlin Dilek Kolat, die Senatorin der SPD für Arbeit, Integration und Frauen. Ihre Verwaltung ist dafür allerdings erst seit der letzten Wahl im Herbst 2011 zuständig. Im Rahmen der üblichen Senatsumbildung waren die Kompetenzen zwischen den Ressorts neu verteilt worden. Die Zuständigkeit für Strahlenschutz liegt nun in Kolats Referat für Arbeitsschutz und technische Sicherheit, Abteilung Arbeit und berufliche Bildung.

Im April 2013, eineinhalb Jahre nach der Neuordnung der Kompetenzen, schreibt der für den Super-GAU zuständige Referatsleiter einen Brandbrief an die Leitung der Arbeitsverwaltung:

Die Wahrnehmung von Aufgaben in der Strahlenschutzvorsorge bedingt neben fachspezifischem Strahlenschutzwissen auch strahlenmedizinisches Wissen (bezüglich Entscheidung Jodtablettenausgabe, Verbleiben im Haus, Evakuierung) und Katastrophenorganisationskenntnisse (Einrichtung und Betrieb von Stäben, Pressekommunikation, behördenübergreifende Kommunikation). Beide Themengebiete bedingen in der Regel eine längere Ausbildungszeit (Strahlenschutzlehrgänge, strahlenmedizinische Lehrgänge, Katastrophenschutzlehrgänge) und idealerweise auch bereits praktische Erfahrungen auf zumindest einem der Gebiete.

Dies aber sei de facto nicht gewährleistet:

Weder die dafür notwendigen Kenntnisse (siehe oben) noch die entsprechende Anzahl an Fachpersonal sind im Referat vorhanden. Dies wurde in der Vergangenheit immer wieder an die zuständigen Abteilungs- und Hausleitungen herangetragen.

Am Zustand habe sich bisher aber nichts geändert. Bislang stehe lediglich eine Person für die Aufgabengebiete der Strahlenschutz- und Röntgenverordnung im Referat zur Verfügung:

Hier kommt hinzu, dass diese Person alters- und gesundheitsbedingt nicht in der Lage ist, zusätzlich die Notfallaufgaben im Strahlenschutz mit zu erledigen. Unter anderem beantrage ich seit Jahren für den Strahlenschutzbereich eine dringend notwendige Stelle.

Die Stelle wird allerdings nicht genehmigt. Der Sprecher von Senatorin Kolat erläutert das so: Bei dem Brief handele es sich um „die Einschätzung eines Referatsleiters nach Personalmehrbedarf. Solche Bedarfsmeldungen werden in der Regel von allen Referatsleitern des Hauses geäußert und müssen angesichts der angespannten Haushaltslage des Landes Berlin und des massiven Personalabbaus priorisiert werden.“ Strahlenschutz hat also keine Priorität bei Arbeitssenatorin Kolat. Auch deshalb wurde die Katastrophenschutzübung vom September 2013 zu einem Debakel.

Der Brandbrief bleibt unerhört, alles geht weiter wie bisher. Zwar gibt es noch einen „Einsatzplan Strahlenschutz“ aus der Zeit vor 2011. Doch „aus Kapazitäts- und Fachgründen konnte der Einsatzplan bisher und auch in nächster Zeit nicht absehbar angepasst werden“, heißt es in einer internen E-Mail, die der taz vorliegt. Unter anderem sind die Kontaktdaten des Lagezentrums der Innenverwaltung veraltet, für das Thema Arzneimittel ist inzwischen eine andere Senatsverwaltung zuständig, es gibt Lücken und Überschneidungen.

Als die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen im Frühjahr 2013 erfährt, dass der Bund mit den Ländern den Super-GAU üben will, war daher auch der erste Reflex: Wir machen bei der Übung nicht mit. Der zuständige Referatsleiter empfiehlt in einem Vermerk: „Keine Beteiligung, da 1. die Ressourcen fehlen – personell, wie auch Stabsstrukturen; 2. die benötigten Kenntnisse zur Strahlenschutzvorsorge/Katastrophenschutz fehlen.“

Berlin sagt dann aber doch zu. Schließlich ist noch ein paar Monate Zeit. Zeit um die langeListe der offenen Fragen zu klären und sich um Räume, Technik und Personal zu kümmern. Kolats Staatssekretärin Barbara Loth (SPD) schreibt einen Brief an Emine Demirbüken-Wegner (CDU), die Staatssekretärin von Gesundheits- und Sozialsenator Mario Czaja (CDU):

Mit der Senatsneubildung in 2011/2012 hat sich die Situation ergeben, dass mein Strahlenschutzbereich nicht mehr auf die Stabsorganisation der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales zugreifen kann. Dies führt dazu, dass diese Organisation erst noch geschaffen werden muss. Hinzu kommt, dass in meinem Haus keine geeigneten Räumlichkeiten für einen Stab vorhanden sind. In Ihrem Schreiben vom September 2012 haben Sie zu meinem Bedauern mitgeteilt, dass ein Zugriff auf Ihre vorhandene Stabsorganisation unmöglich ist. Vor allem im Hinblick auf die bevorstehende Bund-Länder-Kommunikationsübung schon im September diesen Jahres möchte ich Sie bitten, Ihre Position zu überdenken.

Es ist ein weiterer Brandbrief. Die Bitte um Hilfe in höchster Not. Doch der CDU-Senator zeigt der SPD-Kollegin die kalte Schulter. Warum, das erläutert die Sprecherin von Gesundheitssenator Mario Czaja, Constanze Frey, der taz mit folgenden Worten:

Dieses Ansinnen musste abgelehnt werden. Aus Paragraf 4 Absatz 1 des Katastrophenschutzgesetzes ergibt sich für alle Katastrophenschutzbehörden die gesetzliche Verpflichtung, die notwendigen Maßnahmen zur Vorbereitung auf die Bekämpfung von Katastrophen zu treffen.

Und weiter:

Eine Übernahme der Verpflichtungen für eine andere Senatsverwaltung würde den besonderen politischen Verantwortlichkeiten im Krisenfall nicht ausreichend gerecht werden sowie unverantwortliche Risiken bergen. Unser Haus muss bei typischerweise unvorhersehbaren Katastrophenfällen wie Unfällen mit hohen Verletztenzahlen, zum Beispiel einem Flugzeugabsturz auf ein Wohngebiet oder gefährlichen Infektionskrankheiten, sofort handlungsfähig sein und die erforderlichen Maßnahmen einleiten können. Zur Gewährleistung dieser gesetzlichen Verpflichtung bedarf es daher des jederzeitigen und permanenten Zugriffs auf die hier vorhandene Räumlichkeit. Eine Fremdnutzung würde dem widersprechen.

Bemerkenswert: Die eine Verwaltung hält Reaktorkatastrophen für so unwahrscheinlich, dass es bisher keine Priorität hatte, sich überhaupt irgendwie darauf vorzubereiten. Die andere Verwaltung hält Reaktorkatastrophen für so wahrscheinlich, dass sie sogar Vorsorge für den Fall trifft, dass gleichzeitig auch noch ein Flugzeug auf ein Wohngebiet abstürzen könnte, was ja auch nicht alle Jahre passiert.

Dilek Kolats Verwaltung muss also improvisieren. In einem internen Memo heißt es, Büroräume in der Verwaltung werden „kurzfristig zu den notwendigen Stabsräumen umfunktioniert. Dazu mussten teilweise Mitarbeiter/innen ihre Büros zur Verfügung stellen und anderweitig im Gebäude ihren Tätigkeiten nachgehen. Mit den räumlich sehr begrenzten Kapazitäten gelangte der Koordinierungsstab trotz des minimalistischen Szenarios bereits an die Grenze des logistisch Machbaren.“

Das ist womöglich noch untertrieben. Nach Informationen der taz gab es in den Räumen weder genügend Telefone für alle Mitarbeiter, noch einen TV-Zugang oder einen Farbdrucker. Vor allem blieben die Zuständigkeiten weiter unklar. Das war also die Situation, mit der die Arbeitsverwaltung von Senatorin Kolat am 17. September 2013 in die Übung ging.

Währenddessen kommt es zu einem weiteren Störfall in der Zusammenarbeit. Die Fachleute zum Messen vom Radioaktivität, die bei Michael Müllers Senatsverwaltung für Umwelt angegliedert sind, legen am Übungstag um 13 Uhr eine Lagebeurteilung für Berlin vor: „Aus der erwarteten Bodenstrahlung resultiert eine zusätzliche Jahresdosis von kleiner als 3 Millisievert“, schreiben sie. Das entspricht etwa der Strahlenbelastung durch hundert Röntgenaufnahmen des Brustkorbs.

Vorsorgliche Empfehlungen sind bei solchen Dosiswerten nicht unbedingt erforderlich, aber möglich. Die Fachleute der Umweltverwaltung schreiben: „Aus diesen Prognosewerten für Berlin lassen sich zunächst keine zu empfehlenden Maßnahmen ableiten. Vorsorglich können die vom Bundesumweltministerium vorgeschlagenen Maßnahmen empfohlen werden.“

Der Krisenstab der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen versteht zwar nicht, wie es zu der Strahlenbelastung kommt – das geht aus der Antwort hervor, die der Krisenstab an die Umweltverwaltung schickt. Gleichwohl kommt er zu einem Ergebnis, was die vorsorgliche Warnung angeht: „Die politische Leitung hat entschieden, die vom Bundesumweltministerium empfohlenen Maßnahmen zunächst nicht zu veröffentlichen.“ In der Pressemitteilung wird darüber hinaus sogar verschwiegen, dass überhaupt eine erhöhte Strahlenbelastung in Berlin möglich ist. Stattdessen heißt es, „dass Berlin nicht von den Auswirkungen der Freisetzungen radioaktiver Stoffe im Kernkraftwerk Moorland betroffen sein wird“.

Im Auswertungsbericht zur sogenannten Strahlenschutzkommunikationsübung, der der taz vorliegt, werden die Probleme offen benannt. Dort heißt es, die Übung habe „deutlich aufgezeigt, dass das Land Berlin – mit den derzeitigen Strukturen – nicht in der Lage ist, ein derartiges Szenario über einen längeren Zeitraum (mehr als 72 Stunden) – vor allem nicht im Ernstfall – bewältigen zu können.“

Noch schlimmer: „Wäre der Termin und das Szenario der Übung nicht bekannt gewesen, hätte es mehrerer Stunden, wenn nicht sogar Tage bedurft, um einen arbeitsfähigen Stab zu installieren.“ Für ein Strahlenschutzszenario sei dies ein definitiv zu langes Zeitfenster, da bereits die ersten Maßnahmen unmittelbar nach Ereignisbeginn getroffen werden müssten, heißt es in der Auswertung. „Es stehen dafür weder bei der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen noch beim Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit personell, strukturell noch logistisch ausreichende Ressourcen zur Verfügung.“

Der zuständige Referent bei der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen hatte also Recht behalten. Das Referat möchte den Abschlussbericht auch veröffentlichen. Bei einem Treffen mit Staatssekretär Boris Velter (SPD) gibt es aber Bedenken: Das könne man nicht ohne Zustimmung des Bundesumweltministeriums machen. Das Referat fragt daher beim Umweltministerium an – und erhält von dort eine Freigabe.

Doch dann gibt es plötzlich neue Bedenken: Da „eine Befassung der Staatssekretärskonferenz mit dem Thema Notfallvorsorge erfolgen wird, möchte unser Haus vorerst auf eine weitere Veröffentlichung der vorliegenden Textfassung verzichten“, heißt es. „In Abhängigkeit vom Ergebnis der Staatssekretärskonferenz-Befassung wird dann im Februar oder März 2014 seitens der Hausleitung entschieden, ob der Bericht in den Jahresbericht der Arbeitsschutzverwaltung übernommen werden soll/kann und gegebenenfalls der Text noch etwas gestrafft werden soll.“ Der Abschlussbericht wurde bis heute nicht veröffentlicht.

Auf der Staatssekretärskonferenz Anfang 2014 wird dann beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzurichten. Der „Einsatzplatz Strahlenschutz“ wurde bis heute nicht überarbeitet. Die Frage, wer sich in Zukunft um den Super-GAU kümmern soll, wird immer noch diskutiert – auf „politischer Ebene“ wie es heißt.

Derzeit ist weiterhin die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen zuständig. Der Leiter des zuständigen Referats notiert in einer „Hauspost“ für alle Mitarbeiter: „Bleibt zu hoffen, dass die derzeit knapp 100 Kernkraftwerke in Europa von Störfällen verschont bleiben. Die Häufung dieser, besonders in den Kernkraftwerken, die in den 70er Jahren erbaut wurden, macht die Hoffnung zu einem riskanten Glücksspiel, auf das sich jedoch kein Land verlassen sollte.“

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