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Archiv-Artikel

Gescheitert am Putsch

Vom Telenovelakanal zum Symbol der Pressefreiheit: In Venezuela wird der Oppositionssender RCTV geschlossen

Sonntag um Mitternacht war es so weit: Venezuelas ältester Privatsender Radio Caracas Televisión (RCTV) musste seinen Betrieb einstellen. Nach einem tränenreichen 18-Stunden-Rückblick auf 53 Jahre Fernsehgeschichte wurde der Bildschirm schwarz. 20 Minuten später flimmerten auf Kanal 2 die ersten Bilder des Senders TVes (Soziales venezolanisches Fernsehen) in die Hütten und Paläste der VenezolanerInnen. Lil Rodríguez, die Direktorin des neuen öffentlichen Senders, versprach in ihrem Grußwort kulturelle Vielfalt. „Wir haben jetzt ein neues Instrument, um die Konzepte zu entfalten, die unser Vaterland verdient“, schwärmte sie.

In der Innenstadt von Caracas feierten tausende Chavistas die Wende. „TVes wird das kritische Bewusstsein der Venezolaner schärfen“, hofft der Aktivist José Pereira. Beliebt war der 1953 gegründete RCTV vor allem wegen seiner Telenovelas und seiner Unterhaltungsshows nach US-amerikanischem Vorbild.

Erklärtes Ziel der Regierung Chávez ist es, die „Kommunikationshegemonie“ in Venezuela zu erringen. Dass gerade die Lizenz von RCTV nicht verlängert wurde, ist dabei kein Zufall. Als Hauptargument nannte Chávez immer wieder die hinlänglich bekannte Beteiligung des Senders am gescheiterten Umsturzversuch im April 2002. Doch der Kanal „Venevisión“ von Medienzar Gustavo Cisneros stand damals ebenso dezidiert auf der Seite der rechten Putschisten. Jetzt wurde seine Lizenz um fünf Jahre verlängert. „Das ist leicht zu erklären“, sagte Teodoro Petkoff, der Chefredakteur der linksliberalen Oppositionszeitung Tal Cual, der taz. 2004 hätten Cisneros und Chávez einen Pakt geschlossen, seither halte sich „Venevisión“ mit Kritik an der Regierung zurück.

RCTV-Chef Marcel Granier hingegen blieb stramm auf Oppositionskurs. Auch wenn die l,politische Berichterstattung nur einen kleinen Teil des Programms ausmachte, konnte die heftige Kritik an Chávez und seinem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ im ganzen Land empfangen werden. Damit ist es jetzt vorbei.

Monatelange Proteste im In- und Ausland blieben erfolglos. Nachdem am Sonntag erneut Tausende für RCTV demonstriert hatten und eine kleine Gruppe mit Steinen und Metallplatten auf die Polizei losgegangen war, löste diese die Kundgebung mit Wasserwerfern und Tränengas auf. Granier bezeichnete die Nichtverlängerung der Lizenz als „Willkürakt“ und „Vergeltungsmaßnahme“ der Regierung. RCTV wolle auf jeden Fall weitermachen, sagte der Medienunternehmer, entweder über Kabel oder Satellit.

Auch linke Intellektuelle wie Margarita López Maya sind skeptisch. Durch ihr plumpes Vorgehen habe die Regierung den Medienboss Granier ohne Not zu einem Symbol der Pressefreiheit stilisiert. „Dabei war doch die einzige Pressefreiheit, an die Granier glaubte, nur seine eigene“, meint die Historikerin und formuliert das wirkliche Dilemma des Fernsehpublikums in Venezuela: „Mit oder ohne RCTV haben wir Venezolaner ein miserables, polarisiertes Fernsehen, das unsere Rechte verletzt. Ob TVes daran etwas ändern wird?“

GERHARD DILGER