: berliner szenen Genealogie bei Kaiser’s
Klaugedanken
Bei Kaiser’s gab es eine kleine Aufregung. Ein Kunde hatte wohl etwas mitgehen lassen wollen. „Fünf Flaschen Bier und eine Flasche Berentzen hat er in seinen Rucksack getan“, sagte eine hübsche Verkäuferin an der Flaschenpfand-, Brot- und Käsetheke und rief leicht belustigt: „Ein Mann muss her.“
Entschlossen, mit einem Anflug von Selbstironie, was seiner Entschlossenheit etwas Sympathisches gab, eilte der kräftige Mann von der Fleischtheke an mir vorbei, hin zum Räuber. Der wurde wohl im Mittelgang von den Kassenfrauen festgehalten. Ich sah ihn ja nicht, weil ich schon im Gang zur Kasse war und nicht zurückgehen wollte, um den Dieb nicht mit neugierigen Blicken zu beschämen.
Wahrscheinlich war der Dieb schüchtern. Es gab jedenfalls keinen Lärm, keine Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Fleischthekenmann. An der Kasse war alles wieder wie immer.
Draußen vor dem Laden sah ich die quasi hauseigenen Kaiser’s-Trinker und dachte an Bommi Baumann, der mir viel von den Gammlern erzählt hatte, die Ende der 60er immer an der Gedächtniskirche rumhingen. Aus den Gammlern waren die „Umherschweifenden Haschrebellen“ geworden; aus den „Umherschweifenden Haschrebellen“ waren die „Bewegung 2. Juni“ und die Gruppe Ton, Steine, Scherben hervorgegangen – und daraus später irgendwie auch die taz und die Grünen.
Viele von diesen Leuten sind inzwischen gestorben. Ihre Mao-Bibel hatte jedenfalls „Klau Mich!“ (von Rainer Langhans und Fritz Teufel) geheißen. Als Jugendliche hatten wir aber eher Postkarten und Alkohol geklaut. „Was für ein schöner Apriltag“, dachte ich noch, und merkte erst Tage später, dass das völlig falsch war. DETLEF KUHLBRODT