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Das Land der Schattenwirtschaft

Nach Jahren der Misswirtschaft will Kim Jong Il die Wirtschaft Nordkoreas retten, ohne die strikte Kontrolle über die Bevölkerung zu lockern. Trotzdem bleibt die Versorgung vielerorts prekär

AUS PJÖNGJANG JUTTA LIETSCH

Im Casino ist zur frühen Abendstunde nur ein Black-Jack-Tisch besetzt. Drei Spieler warten, dass der Croupier seine Karten aufdeckt. Einer lässt sieben rote Chips im Wert von je 1.000 Euro in seiner Hand hin- und hergleiten, verliert – und verzieht keine Miene. „Das sind Chinesen“, flüstert einer der Croupiers. „Die machen die höchsten Einsätze.“

Das Casino im Yanggakdo-Hotel von Pjöngjang gehört neben den Bars und Restaurants der wenigen Ausländerhotels von Pjöngjang zu den wenigen Orten, an denen sich ausländische Besucher Nordkoreas am Abend zerstreuen können. In diesen Enklaven sind sie unter sich, betreut von sorgsam ausgewählten einheimischen Reiseleitern und Funktionären, abgeschottet von der normalen Bevölkerung.

Seit einigen Jahren versucht der „Große Führer Genosse General Kim Jong Il“ verstärkt, Investoren und Touristen nach Nordkorea zu locken. So will er nach Jahrzehnten der Misswirtschaft und Naturkatastrophen die Wirtschaft retten – ohne allerdings die starre Kontrolle über die Bevölkerung zu lockern.

Noch versucht nur eine überschaubare Menge von Geschäftsleuten aus dem Ausland ihr Glück in Nordkorea: Nur zwölf europäische Firmen vertritt zum Beispiel die European Business Association von Pjöngjang. Dazu gehören die Daedong-Credit-Bank, ein Softwareunternehmen, Handelshäuser, Frachtfirmen und CD-Produzenten. Ihr Geschäftsführer ist der Schweizer Felix Abt, der vor fünf Jahren als Vertreter des schwedisch-schweizerischen Elektrotechnikkonzerns ABB aus Vietnam nach Nordkorea kam und heute unter anderem die Firma PyongSu Pharma leitet: „Ich wollte noch etwas Spannendes erleben, bevor ich mich zur Ruhe setze“, sagt er. Seit damals habe sich viel verändert: „Jetzt gibt es doppelt so viele Autos und Fahrräder und den Tongil-Markt, auf dem man alles kaufen kann.“

„Alles kaufen“ kann sich allerdings nur, wer Geld hat. Das bedeutet: Zugang zu Euro, Dollar oder chinesischen Renminbi. Von den Gehältern allein kann niemand leben. Ein leitender Arzt in einem führenden Krankenhaus verdient rund 3.000 Won im Monat (umgerechnet etwa 1 Euro nach Schwarzmarktkurs). Das entspricht zehn Vanilleeis am Stiel oder ein paar Äpfeln auf dem Markt.

Devisen besitzt nur die Elite: Dazu zählen Reisekader und Bürger, die Verwandte in Japan, China oder Südkorea haben. Die Behörden veröffentlichen keinerlei plausible Statistiken und behandeln auch Alltägliches als Staatsgeheimnis, um die Fassade der umfassenden Versorgung durch die Gnade des Großen Führers aufrechtzuerhalten.

Es sind wohl vor allem die Öl- und Düngerlieferungen aus China und Südkorea, die das Regime am Leben halten. Der Wert des Handels zwischen Nordkorea und dem Nachbarn China, dem wichtigsten Partner des Landes, lag 2005 unter 1,2 Milliarden Euro, schätzen Experten. Außerdem besitzt Nordkorea Goldminen und verkauft das wertvolle Metall ins Ausland.

Von einer Hungerkatastrophe wie Mitte der Neunzigerjahre ist derzeit nicht mehr die Rede. Doch die Versorgung bleibt prekär, vor allem in den Industriestädten des Nordostens, deren Fabriken stillliegen. „Dort leiden die Leute sehr“, sagen Helfer. Weil die meisten Böden ausgelaugt, und karg sind, wächst in Nordkorea selbst in guten Zeiten nicht genug Getreide für die 20 Millionen Bewohner des Landes. 60 Prozent sind Städter.

Das Regime duldet freie Märkte, in denen die Leute Lebensmittel und Haushaltsbedarf kaufen. Wie zuwider Kims Generälen diese kapitalistischen Enklaven aber sind, zeigt sich daran, dass sie vor den Augen des Auslands möglichst verborgen werden sollen. Ausländische Journalisten durften zuletzt nicht dorthin.

So viel ist deutlich: Die Nordkoreaner haben große Findigkeit entwickelt, um zu überleben. „Es gibt eine riesige Schattenwirtschaft“, sagt ein Diplomat. „Niemand lebt allein von seinem offiziellen Einkommen.“ Das bedeutet: Der Arzt repariert nebenher Computer, die Lehrerin gibt privat Klavierunterricht, die Buchhalterin führt zu Hause einen Kosmetik- oder Friseursalon, ihre Freundin betreibt in der Wohnung ein kleines Restaurant, der Schwager schreinert auf Bestellung Möbel, die Cousine geht mit dem Rucksack aufs Land hamstern.

Anders als europäische Geschäftsleute lassen sich auch chinesische Unternehmer nicht abschrecken. Sie haben hier in den letzten Jahren hunderte Firmen gegründet. Doch der große Stolz des Kim-Reichs ist der Pyonghwa, eine Investition der rechten südkoreanischen Mun-Sekte, deren Gründer sich gut mit dem 1994 verstorbenen Kim Il Sung verstand und ihm einige Projekte finanzierte. Der Pyonghwa ist der erste eigene Personenwagen des Landes, auf Werbeplakaten am Flughafen und in der Stadt angepriesen. Montiert wird der Fiat-Siena-Nachbau in der Küstenstadt Nampo.

Die mächtigen Generäle um den Großen Führer Kim mögen sich bislang allerdings nicht mit dem heimischen Gefährt bescheiden: Zur großen Parade zum 75. Gründungstag der Volksarmee ließen sie sich lieber in ihrer neuen Wagenflotte chauffieren: in weißen VW Passat.

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