: Im Stadion lachen die Schweine
Sieben Abgeordnete des Bundestags sind am Dienstag zu einem viertägigen Besuch in Nordkorea eingetroffen. Thema sind vor allem die Beendigung des nordkoreanischen Atomprogramms und die humanitäre Lage des Landes. Seit 2003 verhandelt Pjöngjang mit Südkorea, den USA, China, Russland und Japan über eine Beendigung seines Atomwaffenprogramms. Im Februar willigte man in die Abschaltung des Reaktors Yongbyon ein, nachdem dem Land Hilfen im Wert von 1 Million Tonnen Schweröl zugesagt wurden. Die Vereinbarung wurde allerdings bis heute nicht umgesetzt. Die deutsche Delegation wird auch ein Wasserversorgungsprojekt der Welthungerhilfe und die Sonderwirtschaftszone Kaesong besuchen. Dort haben sich 22 südkoreanische Unternehmen niedergelassen, die dort 12.400 Nordkoreaner für extrem niedrige Löhne beschäftigen. AP
AUS PJÖNGJANG JUTTA LIETSCH
Wie ein erleuchtetes Raumschiff liegt das Stadion mit seinen 150.000 Plätzen auf einer Insel im Taedong-Fluss. Zur Massengymnastik-Show „Arirang“, die ihren Namen einem in beiden Teilen Koreas populären Volkslied verdankt, sind über 60.000 Menschen aus ganz Pjöngjang zusammengekommen. Ihre Hoffnungen und ihre Zukunftswünsche bringen sie in riesigen lebenden Bildern zum Ausdruck.
Reise in das abgeschottete Nordkorea: Seitdem das kommunistische Regime im Jahr 2002 begann, Touristen mit der Turn-Show anzulocken, dürfen zu diesem Anlass auch ein paar ausländische Journalisten, die sonst äußerst ungern gesehen sind, Nordkorea besuchen.
Das Programm für solche Touren steht fest. Dazu gehören auch der Besuch des Elternhauses von Staatsgründer Kim Il Sung, die zweistündige Fahrt auf der leeren Autobahn nach Süden zum Grenzort Panmunjon und die große Freundschaftsausstellung im Norden der Hauptstadt.
Allerdings: Versuche, unbegleitet durch Pjöngjang zu gehen, vereiteln die Betreuer. Gespräche mit Einheimischen auf der Straße sind so gut wie unmöglich: „Sie sind hier nicht in einem freien Land“, sagt Herr Kim, einer der Begleiter, die Besucher aus dem Ausland betreuen.
Monatelang haben die Schüler der Pjöngjanger Schulen nach dem Unterricht für ihren „Arirang“-Auftritt geübt, in perfektem Gleichklang die Farbtafeln umzuschlagen, mit denen sie immer neue Bilder über die ganze Breite des Stadions zaubern.
Sie zeigen wenig Militärisches – obwohl die offizielle Parole der Regierung „Armee an erster Stelle“ lautet. Dafür erscheinen vor allem friedliche Motive – gelbe Kornfelder, lachende Schweine, frisches Gemüse, blühende Begonien, moderne Computer, Labors, Fabriken, Wohnsiedlungen. Am Horizont erhebt sich die goldene Sonne, das Symbol von Kim Il Sung, und eine Wiedervereinigungs-Eisenbahn braust von Nord- nach Südkorea.
Es ist eine Schau, die erstaunt und bestürzt: Hunderte Kinder, viele kaum mehr als sechs Jahre alt, überschlagen sich synchron in der Luft, landen im perfekten Spagat auf dem Boden. Junge Frauen wiegen sich grazil im Tanz. Trapezkünstler lassen sich aus großer Höhe wie Sternschnuppen ins Netz fallen. Und zu allem ertönt eine Mischung aus koreanischen Volksliedern, sozialistischer Marschmusik und aufmunterndem Propaganda-Pop. Doch die Zuschauertribünen im Stadion sind halb leer, und die Schau läuft deshalb kürzer als geplant.
Die Drei-Millionen-Metropole mit ihren enormen Monumenten, den vielen Stadien, breiten Straßen, gewaltigen Wohnblocks und Hochhaussiedlungen präsentiert sich in diesen Tagen freundlich. Trotz Energieknappheit sind die Häuser beleuchtet, an den Uferpromenaden der Flüsse Taedong und Potong blühen Flieder und Forsythien.
Nur wenig lässt erkennen, dass Nordkoreas Wirtschaft am Abgrund steht und seit Jahren mit ausländischer Hilfe vor dem Zusammenbruch bewahrt wird. Nichts verrät flüchtigen Betrachtern auch, dass die Mauer, mit der das Regime seine Untertanen vor äußeren Einflüssen bewahren will, durchlässiger ist als noch vor wenigen Jahren. Wer Kontakt zum Ausland oder zu Reisekadern hat, lässt sich südkoreanische Seifenopern, die neuesten Hollywoodfilme und Zeitschriften mitbringen. Südkoreanische Pop- und Filmstars sind auch im Norden beliebt.
Nordkoreaner, die verdächtigt werden, zu eng mit ausländischen Kollegen zusammenzuarbeiten, werden jedoch wie in früheren Zeiten oft abrupt abgelöst. Die Regierung wacht scharf darüber, dass die Zahl der Ausländer, die permanent in Pjöngjang leben, nicht zu groß wird, rund 300 sind es derzeit. Private Kontakte bleiben Tabu. „Ich bin noch nie bei meinen Mitarbeitern zu Hause eingeladen gewesen“, berichtet ein Ausländer, der seit Jahren in Nordkorea lebt, „und ich kenne keinen, dem es anders geht.“
Pjöngjang wirkt wie eine besonders gut aufgeräumte Stadt – nicht reich, aber auch nicht besonders arm, wenn man es mit anderen asiatischen Großstädten vergleicht. Einige der Betonsiedlungen sind bunt gestrichen.
Zwei Euro zum Leben
Ganz offensichtlich kann niemand nur von seinem regulären Einkommen leben: Zwischen 3.000 und 5.000 Won verdienen etwa Ärzte und Ingenieure im Monat. Das entspricht zehn bis sechzehn Portionen Eis – umgerechnet 1 bis 2 Euro nach dem Schwarzmarktkurs. „Jeder versucht, sich auf irgendeine Weise noch etwas dazuzuverdienen“, sagt ein Mitarbeiter einer der wenigen internationalen Hilfswerke, die noch im Land verblieben sind.
Auf manchen Balkons von Pjöngjang stehen nicht nur Blumentöpfe, sondern Hühner- und Kaninchenkäfige. Wer Verwandte und Bekannte im Ausland hat, lässt sich Kleidung und Haushaltsgeräte mitbringen und verscherbelt sie auf privaten Verkaufstreffen. „Einige reparieren Radios, andere eröffnen eine kleine Garküche oder einen Friseursalon in der Wohnung.“
Tausende Besucher drängen sich am Wochenende durch den Mangyongdae-Park zum nationalen Wallfahrtsort, dem Elternhaus des Staatsgründers: Da sind Studentinnen im weißblauen Kleid, Mitarbeiter von Behörden in dunklen Anzügen, Eltern mit ihren Kindern am Arm, dazwischen junge Frauen in leuchtend bunten Glockenkleidern, lieblich wie ein wandelndes Tulpenfeld. Aus den Büschen ertönt feierliche Musik.
Wer das propere Straßenbild stört, wird von Aufpassern verscheucht. So etwa eine Gruppe ärmlicher Frauen, die auf der Straße ein paar Kämme und gebrauchtes Plastikspielzeug feilbieten. Ausländer mit Fotoapparaten sollen nicht in ihre Nähe kommen.
Wie viel großartiger wirkt da doch der Besuch in der „Freundschaftsausstellung“ in einem Ausflugsgebiet mit bewaldeten Bergen nördlich der Hauptstadt.
Dort liegen, in zwei Gebäuden hinter meterdicken Mauern, die als Bunker in den Berg hineingebaut sind, untrügliche Beweise für die große Liebe des Auslands zum toten „Präsidenten auf Ewigkeit“ Kim Il Sung, und seinem Sohn: Über 220.000 Präsente an den Senior und mehr als 40.000 Geschenke an den Junior, den heutigen Regenten Kim Jong Il.
Die Pistole von Honecker
Neben nordkoreanischen Besuchergruppen wandern ein, zwei Dutzend Ausländer durch die endlosen Flure von Ausstellungsraum zu Ausstellungsraum: Touristen aus Europa und Australien – darunter eine Handvoll Verehrer des nordkoreanischen Regimes, die beim Erinnerungsfoto die Faust zum Himmel recken.
Eine bildhübsche Führerin im roten traditionellen Glockenkleid, Frau Hong, weist mit unermüdlicher Freude auf die Schätze hin: die Eisenbahnwaggons, die einst Stalin und Mao nach Nordkorea sandten; die Pistole von Honecker; der vom rumänischen Diktator Ceaușescu selbst geschossene Bär.
Plötzlich wird die Stimmung eisig. Ein Besucher fragt, was denn die Nordkoreaner darüber dächten, dass die Regierung Kim Jong Ils sein teures Geschenkemuseum just im Jahr 1996 errichten ließ – in einer Zeit, als in seinem Land Hunderttausende Menschen verhungerten? Frau Hong wird bleich. „So etwas hat noch nie jemand gesagt!“ Die Bevölkerung liebe den Führer, der ihnen seine Schätze geschenkt habe, sehr. Nicht die Regierung, sondern das Volk habe das Gebäude errichtet: „Das können Sie nicht verstehen.“
Es ist wahr, Nordkorea ist schwer zu verstehen. Nach dem Willen der Regierung soll das auch so bleiben. Alle Versuche der Journalisten, in Pjöngjang so etwas Harmloses zu tun wie die Geschäfte an der Straße zu betreten, um etwas über Angebot und Preise zu erfahren, scheitern in diesen Tagen: „Das ist gegen die Vorschriften“, sagt Herr Kim und steuert stattdessen einen der Devisenläden an, in denen heimische und importierte Schnäpse, Kekse, Waschmaschinen und Seidenstickereien gegen Euro, Dollar und chinesischen Renminbi angeboten werden. Auch Nordkoreaner mit Zugang zu Devisen dürfen hier einkaufen.
Lange Schlangen stehen an den Haltestellen der Oberleitungsbusse und uralten Straßenbahnen aus Leipzig und der früheren Tschechoslowakei. Auf den Straßen rollen betagte Mercedesse und Volvos, dazwischen neuere Toyotas und Nissans. Die Straßen sind, so bestätigen Bewohner Pjöngjangs, in den letzten Monaten trotz aller Wirtschaftssanktionen deutlich belebter als früher. Nur am Sonntag ist es still – Fahrverbot zum Benzinsparen.
Die meisten Hauptstädter sind zu Fuß unterwegs. Überall sind es Frauen, die im Rucksack schwere Bürden tragen. Die Männer hingegen halten oft nur ihre Aktentasche in der Hand – oder transportieren ihre Bündel auf dem Fahrrad.
Denn in Pjöngjang dürfen nur Männer Rad fahren, wie der große Führer befohlen hat. Herr Kim, ein schmaler Mann mit Sinn für Humor, findet das in Ordnung: „Frauen gehen gern zu Fuß“, sagt er, ohne die Miene zu verziehen: „Männer hingegen brauchen mehr sportliche Ertüchtigung, deshalb müssen sie das Rad benutzen.“
„Ich bin“, sagt Kim am Ende der Reise bescheiden, „für den Job als Betreuer vielleicht nicht so gut geeignet, weil man sehr strikt sein muss, was mir eigentlich nicht liegt.“ Nach seinem Traumberuf gefragt, überlegt er kurz und sagt: „Geschäftsmann.“