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Archiv-Artikel

Wenn Brüssel grünes Licht gibt

BIOSIEGEL Der Biomarkt wächst – und die Angst vor der riesigen Biolüge wächst mit. Staatliche Siegel sollen die Qualität absichern, belegen aber nur die Einhaltung von Basisstandards. Dafür fördern sie den Tierschutz

VON VIVIANE PETRESCU

In einer Woche, am 1. Juli, hat das europäische Biosiegel Geburtstag. Seinen ersten. Das Sternenblatt soll eine Orientierung im Konsumdschungel sein und dazu beitragen, europaweit nachhaltige Standards zu setzen. Die deutsche Variante ist weiterhin auf den Verpackungen zu finden, obwohl es keine Unterschiede zu den Maßstäben des europäischen Logos gibt. Es ist lediglich als Marke vertrauter.

Bleibt die Frage, ob wirklich ökologisch ist, was die EU als bio bezeichnet. Christiane Groß, Online-Redakteurin bei der Verbraucherorganisation Foodwatch, sieht das Siegel als Garantie gewisser Basisstandards. „Es gibt viele nichtssagende Gütesiegel, die sich Unternehmen selber verleihen“, sagt Groß. In den letzten Jahren ist der Durchschnittspreis für Biowaren deutlich gesunken, seit selbst Discounter eigene Biomarken anbieten. Da sei es wichtig, eine verlässliche Orientierung zu haben. Es gebe aber Einschränkungen. Beispielsweise kritisiert Foodwatch, dass die Siegel Wasserverbrauch nicht mitbewerten. Der sei bei Tomaten aus Südspanien unverhältnismäßig hoch. Trotzdem dürfen die Verpackungen das Biosiegel tragen, da keine Pestizide zum Einsatz kamen. Anbauverbände wie Demeter oder Alnatura hätten hier oft nachhaltigere Maßstäbe. Reinhild Benning, Agrarexpertin des BUND, will die Wasserregelung nicht zwingend in die EU-Öko-Verordnung aufnehmen: „Wasserknappheit ist ein globales, gesamtwirtschaftliches Problem und die ökologische Landwirtschaft ist nur ein Bruchteil der Agrarindustrie.“

Die Agrarexpertin steht zu strengen Forderungen an das staatliche Siegel ambivalent gegenüber. Zwar sei es gut, wenn Produkte aus der Region stammten und keinen umweltbelastenden Transportmarathon hinter sich hätten. Denn Bioprodukte von anderen Kontinenten seien oft keine ökologischen Helfer mehr. Dafür hätten sie aber oft einen anderen Nutzen: „Gerade in Entwicklungsländern ist ökologischer Anbau eine riesige Chance für eine soziale Entwicklung“, so Benning. Schätzungen zufolge gibt es über 25 Millionen Pestizidopfer, die starke Verätzungen erlitten haben oder an der Pestizidbelastung gestorben sind.

Aber auch in der heimischen Landwirtschaft kann die Öko-Verordnung nicht alles regeln: Nach wie vor können Landwirte Ausnahmen von den Regelungen treffen, etwa bei der Arzneimittelvergabe an Tiere. Überprüfbar ist das für die VerbraucherInnen nicht, da Ausnahmen nicht gekennzeichnet werden müssen. Lücken gibt es auch beider „Betriebsteilung“: Nach der Europäischen Öko-Verordnung dürfen Landwirte ihren Betrieb in konventionelle und ökologische Produktion aufteilen. Für Felder, auf denen gespritzt wird, gilt ein Mindestabstand. Die Maschinen dürfen in beiden Produktionsteilen eingesetzt werden und können zu Verunreinigungen führen.

Auch die Produktionsbestimmungen sehen keine rein biologische Produktion vor: Fünf Prozent der Inhalte dürfen aus konventioneller Produktion stammen. Von 320 Zusatzstoffen der herkömmlichen Industrie sind zwar nur 50 Zusatzstoffe für Bio-lebensmittel zugelassen, darunter allerdings auch Nitritpökelsalz, das vor allem für Wurst verwendet wird und Krebs erregend sein kann.

Damit Unsauberkeiten und Ausnahmen nicht überhand nehmen, besuchen mindestens einmal im Jahr Kontrolleure die Bio-Landwirte. Für Reinhild Benning vom BUND ist das allein deswegen schon ein Vorzug des staatlichen Biosiegels, weil dabei nebenbei die Einhaltung allgemein verbindlicher Tierschutzstandards kontrolliert werden. Gerade viele deutsche Agrarbetriebe kürzten die Schnäbel ihrer Puten, ohne dass es irgendjemandem auffalle. „Bei Biohöfen weiß man zumindest, da kommt sicher einmal im Jahr jemand vorbei“, meint Benning.