Ein Frühling für ein anderes Leben

KÄMPFEN Die Aufstände in den arabischen Ländern haben unterschiedliche Voraussetzungen und Perspektiven

Ein wichtiger Unterschied zwischen den Staaten liegt in ihrer regionalen Bedeutung

VON BEATE SEEL

Manchmal werden die Dinge etwas unübersichtlich. An einem Tag im Februar sind in gleich 13 arabischen Staaten Demonstranten gegen die jeweiligen Machthaber auf die Straße gegangen. Da ist es gut, dass es Bücher gibt, wo man die atemberaubenden Entwicklungen dieses Frühjahrs noch einmal nachlesen kann, auch wenn dieser historische Prozess noch an seinem Anfang steht. „Die arabische Revolution“, herausgegeben von Frank Nordhausen und Thomas Schmid, ist ein solches Buch.

Die zehn Autoren – darunter nur eine Frau – zeichnen in ihren gut lesbaren Beiträgen über die einzelnen Länder die Ereignisse nach und liefern die notwendigen Hintergründe zu deren Verständnis, wobei einzelnen Texten zu entnehmen ist, dass die Verfasser während dieser Periode vor Ort waren. Aufgenommen wurden auch Staaten, die nicht im Mittelpunkt des medialen Interesses stehen wie Jordanien, oder Saudi-Arabien, wo es bislang nicht zu Massenprotesten kam, und der Libanon, der bereits 2005 Schauplatz seiner eigenen Bewegung für den Wechsel („Zedernrevolution“) war.

Die Ähnlichkeiten dieser Entwicklungen sind bekannt und schnell benannt: Es handelt sich durchweg um Gesellschaften mit einer sehr jungen Bevölkerung. „Die tunesische Jugend, wenn man es verallgemeinern will, sehnt sich nach einem normalen Leben, nach einem Job, der es erlaubt, eine Familie zu gründen, nach einem Leben ohne Angst, in dem die Würde des Individuums respektiert wird. Sie war notgedrungen revolutionär, weil in Tunesien dies alles ohne Revolution nicht zu haben war“, schreibt Schmid. Wenn man noch etwas mehr verallgemeinern will, gilt das auch für die anderen Gesellschaften.

Übersehen werden hingegen häufig die großen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Unterschiede zwischen diesen Ländern, worauf Nordhausen/Schmid in ihrer Einleitung hinweisen. Proteste gibt es im reichen Ölstaat Libyen ebenso wie im bitterarmen Jemen, in Tunesien mit seiner laizistischen Tradition und im streng religiösen Saudi-Arabien. Daher, so die Herausgeber, unterscheiden sich auch die Ausprägungen und Chancen der Revolte. So gesehen, ist jedes Land ein Sonderfall. Es ist eine der Stärken dieses Buchs, dies zu beleuchten und nicht alles, was unter dem Label „arabischer Frühling“ läuft, unter dem Aspekt Jugend & Facebook abzuhandeln.

Ein wichtiger Unterschied zwischen den arabischen Staaten liegt in ihrer regionalen Bedeutung. Ägypten, der bevölkerungsreichste arabische Staat mit dem stärksten Militär, hat einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen, war Schirmherr früherer Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern und hat in der Arabischen Liga eine Führungsrolle inne. Das Land am Nil spielt somit in einer ganz anderen Liga als Tunesien oder Libyen.

Wenn man das politische Fadenkreuz verschiebt und den Golfstaat Bahrain in den Fokus nimmt, ergibt sich eine ganz andere Konstellation. Dort herrscht ein sunnitisches Königshaus über eine schiitische Bevölkerungsmehrheit, die sich als Bürger zweiter Klasse fühlt. Bahrain liegt somit „an einer konfessionellen Bruchlinie, an der sich vor 35 Jahren der libanesische und vor sieben Jahren der irakische Bürgerkrieg entzündete“, wie Alexander Smoltczyk in seinem ausgezeichneten Beitrag über die kleinen Golfstaaten schreibt. „In Manama überkreuzen sich die Interessen der USA, Saudi-Arabiens und Irans.“

Legt man nun die ägyptische und die bahrainische Folie übereinander, landet man in Syrien. Wie in Bahrain, nur unter umgekehrten Vorzeichen, herrscht hier eine schiitisch-alawitische Minderheit über eine sunnitische Mehrheit und christliche Religionsgemeinschaften. Wie Ägypten hat das Land eine gemeinsame Grenze mit Israel. Darüber hinaus ist Syrien das einzige arabische Land, das enge Beziehungen zum Iran unterhält; zugleich unterstützt es die palästinensische Hamas und die schiitische Hisbollah im Libanon. So, wie Mubarak sich als einzige Alternative zu den Muslimbrüdern präsentierte, gibt sich Syriens Präsident Baschar al-Assad als Garant für Ruhe an der Grenze und die Verhinderung eines Bürgerkriegs im eigenen Land. Daher können Umbrüche in diesen Staaten nicht nur einschneidende regionale, sondern sogar geopolitische Folgen haben.

Einige Autoren des Buches haben solche Ansätze, die über die innenpolitische Analyse der Entwicklung in den einzelnen Länder hinausweisen, aufgenommen. Nordhausen/Schmid jedoch haben darauf verzichtet, sie in einem abschließenden Kapitel zusammenzuführen. Schließlich wissen wir heute noch nicht, wie Ägypten, Syrien oder Libyen in einem Jahr politisch verfasst sein werden. Dennoch hätte man den Herausgebern den Mut gewünscht, einige vorläufige Schlussfolgerungen zu ziehen.

■ Frank Nordhausen/Thomas Schmid (Hg.): „Die arabische Revolution.

Demokratischer Aufbruch von

Tunesien bis zum Golf“. Ch. Links Verlag, Berlin 2011, 200 Seiten, 16,90 Euro