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Archiv-Artikel

Im zupackenden Schlamm von Triebswetter

MIGRATION Quer durch die Zeiten: Catalin Dorian Florescus Heimatsehnsuchtsroman „Jacob beschließt zu lieben“

Man kann diesem Autor nicht vorwerfen, an einem Mangel an Einfällen zu leiden

VON CHRISTOPH SCHRÖDER

Kommt ein Mann in einer stürmischen Gewitternacht aus dem Nirgendwo und sucht eine Frau. Und er weiß auch genau, welche. Er hat sie in der Zeitung gesehen. Von der „Rückkehr der Amerikanerin“ war dort zu lesen. Und weiter wird Elsa Obertin, die Frau, zitiert, dass es schwierig sei, in ihrem Alter noch einen Mann zu finden. Da steht also Jakob, Jakob mit k, an einem Sommertag des Jahres 1924 in Triebswetter, einem Dorf im rumänischen Banat, und nimmt seine Frau in Besitz, nimmt alles in Besitz – den Hof, die Tiere, die Verwandtschaft, das gesamte Dorf.

Mit dieser eigentümlichen und kraftvoll erzählten Episode eröffnet der 1967 in Timisoara (unweit des tatsächlich existierenden Dorfes Triebswetter) geborene, in der Schweiz lebende und auf Deutsch schreibende Schriftsteller Catalin Dorian Florescu seinen neuen Roman. Es ist sein fünfter und auch sein bislang bester. Schon in „Zaira“, dem vorangegangenen Werk, hat Florescu anhand der Biografie einer in den 20er Jahren auf dem rumänischen Land geborenen Frau die ganz persönlichen Abhängigkeiten eines Menschen von den ideologisch fundierten Wendungen der Historie durchgespielt. „Jacob beschließt zu lieben“ folgt einem ähnlichen Grundgedanken, gestattet sich aber noch mehr Freiheiten in Zeit und Raum, ist beweglicher, erfindungsreicher und fabulierwütiger. Florescu ist, darauf legt er Wert, kein Banater Schwabe, was das fiktionale Potenzial eher vergrößert als einengt.

Über Jahrhunderte hinweg, angefangen im Dreißigjährigen Krieg bis in das kommunistische Rumänien der 50er Jahre hinein, werden in diesem Roman menschliche Konstanten freigelegt: das Bedürfnis nach Heimat ist eine davon; das Bedürfnis nach Wohlstand eine andere; dass beide nicht immer miteinander vereinbar sind, ist eine der grundlegenden Erkenntnisse des Romans, dessen Personal sich in einer permanenten Migrationsbewegung befindet.

Da ist also Jakob, der tatsächlich jene Elsa Obertin aus Triebswetter heiratet und mit ihr einen Sohn bekommt: Jacob mit c, allein schon aus Trotz gegen den übermächtigen Vater. Elsa wiederum ist soeben aus dem gelobten Amerika zurückgekehrt, wo sie unter Umständen zu Geld gekommen ist, über deren Anrüchigkeit im Dorf gemunkelt wird, weswegen die Familie sozial isoliert ist. Die Obertins selbst sind im 18. Jahrhundert über die seinerzeit lebensgefährliche Donau ins Banat gekommen; auch sie auf der Suche nach dem fruchtbaren Land, das sich zunächst als wahlweise dorniges oder sumpfiges Gebiet entpuppen sollte.

Jacob, geboren 1926, ist der Erzähler des Romans, dessen Gegenwart immer wieder durchbrochen wird von Rückblenden, in denen die Abenteuer der Obertin-Vorfahren erzählt werden. Jede dieser Zeitebenen hat ihre Berechtigung; jede davon steht in Zusammenhang mit der Jetztzeit. Florescus Sprache ist muskulös, zupackend, hin und wieder geradezu archaisch, sie taucht die Ereignisse, je weiter sie zurückliegen, kalkuliert in das Licht des Märchenhaften. Florescu ist ein großer Geschichtenerfinder, der sich dennoch nicht in den Weiten der gefälligen Anekdoten verliert.

Dafür ist die Sache auch insgesamt zu ernst. Denn Jacob mit c, ein schwächliches Kind, wird nicht nur von den Erschütterungen der Weltgeschichte hin und her geworfen, sondern auch von seinem sozialdarwinistisch denkenden Vater gleich mehrfach verraten. Der liefert den Sohn, ohne zu zögern, der Deportation durch die Russen aus, um einen kräftigeren, von ihm als Nachfolger auf dem Hof auserkorenen Zigeunerjungen zu schützen. Die Deportation: noch eine Wanderbewegung, wenn auch eine komplett unfreiwillige.

„Jacob beschließt zu lieben“ weitet sich allerdings, man darf sagen: glücklicherweise, nicht zum Lagerroman aus. Das ist nicht Florescus Thema. Seinen Jacob lässt er entkommen, auf dass er sich den Herausforderungen des Lebens aufs Neue zu stellen hat. Jacob wird erst Knochenputzer, dann Gehilfe eines beinamputierten Diebes, bevor er sich, endlich kräftig geworden, erneut nach Triebswetter begibt, wo sich in den Jahren seiner Abwesenheit alles geändert hat. Man kann Catalin Dorian Florescu nicht vorwerfen, an einem Mangel an Einfällen zu leiden.

„Ich begann“, so resümiert Jacob ganz am Ende, „mich allmählich damit anzufreunden, dass ich im Schlamm von Triebswetter stecken geblieben war.“ Doch selbst dieser Schlamm wird ihm genommen werden, nicht aber, so pathetisch das klingen mag, seine Menschlichkeit. „Jacob beschließt zu lieben“ einen Heimatroman zu nennen, hieße, ihn zu banalisieren. Was sich hier zeigt, ist die Gattung des Heimatsehnsuchtsromans.

Catalin Dorian Florescu: „Jacob beschließt zu lieben“. C. H. Beck, München 2011, 404 Seiten, 19,95 Euro