: Medaille im Visier
NORWEGEN Weltspitze aus der Provinz
VON JENS-UWE KUMPCH
Die ersten vier in der ersten Liga heißen Stabæk, Røa, Kolbotn und Arna-Bjørnar. Selbst eingefleischte Fußballfans müssen im Atlas nachsehen, wo die führenden Klubs im norwegischen Frauenfußball eigentlich zuhause sind.
Während die Männernationalmannschaft trotz unzähliger Rückschläge in den vergangenen zwölf Jahren von den Medien hofiert wird, fristet der norwegische Frauenfußball ein kümmerliches Dasein. Und dies, obwohl die norwegischen Frauen schon Weltmeister, Olympiasieger und zweimal Europameister waren und die Gleichberechtigung in Norwegen sonst sehr weit gekommen ist. Selbst die Vorstände von börsennotierten Unternehmen müssen zu vierzig Prozent mit Frauen besetzt sein. Immerhin spielen etwa 110.000 Frauen und Mädchen in Norwegen Fußball, doch jentefotball kommt in den landesweiten Zeitungen oder gar im Fernsehen kaum vor.
Auf dem Land und in den Vorstädten ist dies allerdings anders. „Das hat mit dem norwegischen Gemeinschaftssinn zu tun“, meint Erika Skarbo. Die 24-Jährige will zur WM in Deutschland wieder die Nummer eins im Tor des Nationalteams sein. Sie spielt für den Erstligisten Arna-Bjørnar, einen Vorortklub von Bergen, der seit vielen Jahren zur norwegischen Spitze gehört. „Außerhalb der größeren Städte ist das Freizeitangebot nicht so gut, und im Sportverein packen die Eltern und Großeltern mit an. So entsteht das gute Klima, von dem der norwegische Frauenfußball abhängig ist“, sagt Erika Skarbo. Vom Fußball leben können selbst die in Norwegen spielenden Nationalspielerinnen kaum. Sie erhalten lediglich eine Aufwandsentschädigung, ein paar Kronen, von ihren Sponsoren und manche bekommen ein Stipendium von Norwegischen Fußballbund.
Der Frauenfußball kämpft mit Vorurteilen. „Manche Fußballfans haben Anfang der 1990er Jahre mal ein Spiel gesehen und sich dann ihre Meinung gebildet“, sagt Erika Skarbo etwas resigniert. „Dass wir sehr hart trainieren und technisch sehr viel weiter gekommen sind, haben sie nicht gemerkt. Und Fußball vor fünfzig Zuschauern ist eben auch nicht gerade attraktiv für mögliche Werbepartner.“ In der Vorsaison trainiert sie bis zu zwölf Mal in der Woche, während der laufenden Saison reichen fünf bis acht Trainingseinheiten. Die Torhüterin war schon bei den Olympischen Spielen in Peking dabei und freut sich vor allem auf das Publikum. „Volle Ränge und tolle Stimmung! Eine WM in Deutschland mit dem regierenden Weltmeister als Gastgeber – das ist ein unvergessliches Erlebnis und perfekt für den Frauenfußball.“
Der norwegische Fußballbund hat für die WM einen Medaillenplatz fest im Visier. Das dieses Ziel nicht ganz unrealistisch ist, dafür spricht die gesunde Mischung aus Spielerinnen, die schon als Profis im Ausland kicken, und den jungen Spielerinnen, die in einem kleinen norwegischen Verein groß geworden sind. Sie alle wollen die WM, das größte internationale Turnier, nutzen, um anschließend vielleicht in die USA, nach Schweden oder Deutschland zu gehen – und sie hoffen darauf, endlich auch zuhause anerkannt zu werden.
■ Jens-Uwe Kumpch, geboren 1960, ist Fachübersetzer und freier Autor und hat mehrere Reisebücher über Norwegen verfasst