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Archiv-Artikel

Und das ist Deutschland

FAVORITINNEN Beinahe alle Welt rechnet fest mit dem erneuten Titelgewinn für das deutsche Team. Aber wer sind sie eigentlich, die Spielerinnen, von denen erwartet wird, dass sie am 17. Juli den WM-Pokal in Händen halten. Die taz stellt vor, wer in den nächsten drei Wochen „wir“ ist

Tor

Nr. 1 Nadine Angerer, 32 Jahre, 98 Länderspiele, kein Tor, aber auch kaum eins kassiert: Der Freigeist im Team, will mal mit dem Campingbus durch Afrika reisen. Verdient mittlerweile ganz gut an ihrem Image, dass ihr Geld nicht wichtig ist. Legte sich schon mit der Bundestrainerin an, kann sich solche Extravaganzen aber leisten, weil unumstritten – spätestens seit ihr beim Titelgewinn 2007 Einzigartiges gelang: ein ganzes Turnier ohne Gegentor.

Nr. 12 Ursula Holl, 28 Jahre, 5 Länderspiele, kein Tor. Ursula Holl hat als Nationalspielerin schon sehr viel gewonnen. Sie ist Weltmeisterin (2007), Europameisterin (2005 und 2009) geworden. Eine olympische Bronzemedaille (2008) hat sie auch. Was sie dafür tun musste? Auf der Bank sitzen. Sie dürfte bei all diesen Events keine einzige Minute spielen. Man sollte sie nicht „Uschi“ nennen, das klingt ihr „zu kuschelig“. Nadine Angerer tut’s trotzdem.

Nr. 21 Almuth Schult, 20 Jahre, 0 Länderspiele, 0 Tore: die Motivierte. Sie ist die einzige Spielerin, die bis vor der WM noch in der zweiten Liga antrat. Das ändert sich jedoch in der nächsten Saison: Vor dem Turnier unterschrieb sie noch schnell einen Vertrag in Bad Neuenahr. Sie wollte vor der WM den Kopf frei haben, sagt sie. Dabei hätte sie viel Zeit zum Nachdenken – spielen wird sie als dritte Torhüterin wohl nicht.

Verteidigung

Nr. 2 Bianca Schmidt, 21 Jahre, 51 Länderspiele, 1 Tor: Links außen in der Abwehr-Viererkette verrichtet sie ihre Arbeit kompromiss- und schnörkellos. Ihre Fehlerquote ist niedrig, obgleich sie von ihrem Verein, Turbine Potsdam, nur die Dreierkette kennt. Zuweilen fehlt ihr der Mut, mehr in die Offensive nachzurücken.

Nr. 3 Saskia Bartusiak, 28 Jahre, 41 Länderspiele, kein Tor: Ob Abwehr oder Mittelfeld, die Weltmeisterin von 2007 ist flexibel und vielseitig. Die gebürtige Frankfurterin geht gern in die Batschkapp und spielt selbstverständlich für den 1. FFC Frankfurt. Bartusiak ist ein Spätzünder, erst mit 24 Jahren debütierte sie im Nationalteam.

Nr. 4 Babett Peter, 23 Jahre, 51 Länderspiele, 1 Tor: In der Viererkette spielt sie links außen. Die robuste Verteidigerin, die in den vergangenen drei Jahren mit Potsdam dreimal die Meisterschaft gewonnen hat, scheut die Härte im Zweikampf nicht. Auch deshalb weiß sie: „Leistungssport ist nicht gesund, ich spreche aus Erfahrung.“

Nr. 5 Annike Krahn, 25 Jahre, 66 Länderspiele, 4 Tore: Sie ist kopfballstark und hart. Eine echte Innenverteidigerin mit Problemen bei der Spieleröffnung. Nach langer Verletzung ist die Abwehrchefin des FCR Duisburg noch auf Formsuche. Zusammen mit Alexandra Popp („Poppi und Annike“) hat die Sportstudentin das Lied „Fußballsommer“ zur WM eingesungen. Kicken kann sie besser.

Nr. 10 Linda Bresonik, 27 Jahre, 65 Länderspiele, 5 Tore: Sie will sich mit einem guten Turnier empfehlen. Ihrem bisherigen Klub, dem FCR Duisburg hat sie gekündigt. Sie ist auf Vereinssuche. Bewerben wird sie sich mit Auftritten rechts hinten. Spielen könnte sie auch woanders. Die Technikerin ist eine der vielseitigsten Spielerinnen in Silvia Neids Kader.

Nr. 15 Verena Faißt, 22 Jahre, 3 Länderspiele, 0 Tore: Erst ein Länderspiele über die volle Distanz hat die Linksverteidigerin bestritten. Darum fühle sie sich oft noch unsicher und müsse weniger hektisch werden, sagt sie selbst. Voll des Lobes ist hingegen Trainerin Neid: „Sie ist unheimlich schnell, zweikampf- und kopfballstark.“

Nr. 20 Lena Goeßling, 25 Jahre, 23 Länderspiele, kein Tor: Sie hatte schon als Jugendliche nur einen Berufswunsch: Profifußballerin. Zurzeit ist die zuweilen allzu schonungslose Abräumerin Staatsprofi bei der Bundeswehr. Sie spielt in Bad Neuenahr und genießt ihre lokale Prominenz: „Da wird man auf der Starße erkannt.“

Mittelfeld

Nr. 6 Simone Laudehr, 24 Jahre, 41 Länderspiele, 9 Tore: Beim FCR Duisburg kommt die gebürtige Regensburgerin meistens über links. Die offensive Sportsoldatin ist seit ihrem Treffer zum 2:0 im WM-Finale vor vier Jahren in Schanghai eine der bekanntesten Fußballerinnen des Landes. Ihr Kopfball wurde zum Tor des Monats gewählt. Auch als Vorbereiterin ist sie nicht zu verachten.

Nr. 7 Melanie Behringer, 25 Jahre, 65 Ländespiele, 17 Tore: Robuste, defensive Mittelfeldspielerin des FFC Frankfurt. Hat sich die nötige Zweikampfhärte im Wettstreit mit ihren vier Brüdern geholt. Spielte bis zur C-Jugend nur mit Jungs zusammen, dann musste sie zwei Jahre pausieren – und kickte erst dann im Verein mit Frauen. Leitmotiv: „Ohne Fußball würde es bei mir gar nicht gehen.“

Nr. 13 Celia Okoyino da Mbabi, 22 Jahre, 55 Länderspiele, 10 Tore: Flügel, Sturm, Mittelfeld – kann alles, was mit Offensive zu tun hat. Die Studentin vom SC 07 Bad Neuenahr gehört zu den Anführerinnen der Jungen. Mit 16 Debüt in der Auswahl, hätte 2007 Weltmeisterin werden können. Stattdessen: Verletzung, Krankheit, zwei Jahre Pause, Comeback. Popstarqualität – trotz peinlichem Auftritt im „Tatort“.

Nr. 14 Kim Kulig, 21 Jahre, 24 Länderspiele, 6 Tore: Früher Leichtathletin und BMX-Fahrerin, deshalb heute unverzichtbarer Mittelfeldmotor mit Pferdelunge. Soll nach der U20 im vergangen Jahr nun auch die erwachsenen Frauen zum Titel führen. Weniger verspielt als ihr erklärtes Vorbild Figo, damit Gegenentwurf zum Glamourgirl Bajramaj und vielleicht deshalb bei der Bundestrainerin gesetzt.

Nr. 17 Ariane Hingst, 31 Jahre, 173 Länderspiele, 10 Tore: Die Berlinerin, die beim 1. FFC Frankfurt kickt, ist eine ballgewandte Defensivstrategin, eine fleißige Ballschlepperin. Auch in der Viererkette hat sie schon gespielt – engagiert und lautstark. Kaum eine Spielerin gibt den Kolleginnen so viele Anweisungen wie sie. Nach der WM wird es ruhiger im DFB-Team. Sie will aufhören.

Nr. 18 Kerstin Garefrekes, 31 Jahre, 126 Länderspiele, 41 Tore: Spielte 2007 in China die WM ihres Lebens. Die schlaksige Westfälin ist eine der besten Frauenfußballerinnen auf der rechten Außenbahn. Sie sieht zwar nicht sehr athletisch aus, aber „wenn sie einmal Geschwindigkeit aufgenommen hat, ist es für jeden Gegner schwer, sie noch einmal zu bremsen“, sagt Exbundestrainerin Tina Theune über sie.

Nr. 19 Fatmire Bajramaj, 23 Jahre, 47 Länderspiele, 8 Tore: Ihre Lebensgeschichte gibt es längst als Buch: das Flüchtlingsmädchen, aus dem Kosovo, das in ihrer neuen Heimat Nationalspielerin wurde. Sie ist eine ausnehmend gute Fußballerin mit ein wenig zu viel Eigensinn. Der könnte der Neufrankfurterin den Stammplatz kosten. Die vielen Sposoren, die mit ihr werben, würd’s ärgern.

Angriff

Nr. 8 Inka Grings, 32 Jahre, 90 Länderspiele, 62 Tore, ist das Stehauffrauchen der Auswahl. So oft wie „das Schlitzohr“ (Silvia Neid) haben in der Nationalmannschaft nur Birgit Prinz und Heidi Mohr getroffen. Ist trotzdem immer umstritten. War oft verletzt, hat schon 2004 übers Aufhören nachgedacht, sich 2006 mit Neid überworfen, hat beide WM-Titel verpasst und ist doch immer zurückgekehrt.

Nr. 9 Birgit Prinz, 33 Jahre, 212 Länderspiele, 128 Tore, ist eine lebende Legende im deutschen Frauenfußball. Ihre nachlassende Geschwindigkeit und Torgefährlichkeit wurde bereits vor vier Jahren bemäkelt, doch das ist Jammern auf höchstem Niveau: In der Bundesliga war sie zuletzt mit 23 Toren in 18 Spielen die effizienteste Stürmerin.

Nr. 11 Alexandra Popp, 20 Jahre, 12 Länderspiele, 9 Tore: Beförderte im vergangenen Jahr die U20 mit zehn Toren in sechs Spielen zum WM-Titel, wurde zur besten Spielerin des Turniers gewählt. Sagt nun: „Ich stelle keine Ansprüche.“ Schoss dann in der Vorbereitung unverschämt viele Tore. Sollten die älteren Sturmkonkurrentinnen nicht treffen, wird der Boulevard seinen neuen Liebling in die Mannschaft schreiben. Macht momentan Praktikum in einer Physiotherapie. Will studieren. Wird das bald nicht mehr wollen brauchen.

Nr. 16 Martina Müller, 31 Jahre, 93 Länderspiele, 30 Tore, kommt meist von der Bank. Ihre Trefferquote lässt das umso respektabler erscheinen. Silvia Neid sagt: „Wenn Müller ins Spiel kommt, dann brennt der Tannenbaum“. Die Kanadierinnen dürften beruhigt sein, dass die Kleinste im deutschen Kader (1,61 Meter) wegen einer Oberschenkelzerrung für das Eröffnungsspiel ausfällt.

Betreuung

Silvia Neid, 47 Jahre, 111 Länderspiele, 48 Tore. Ist seit Juni 2005 Bundestrainerin. Manche im Team sagen „Silv“ zu ihr, andere „Frau Neid“. Gilt als kompromisslose, autoritäre Trainerin, die auf Fitness und Mannschaftsgeist setzt. Ihr Lieblingssatz bei Spielanalysen: „Wir haben kompakt gestanden.“ DFB-Chef Theo Zwanziger würdigte sie als „eine Lichtgestalt, die den Frauenfußball verkaufen kann“. Hat einen Vertrag bis 2016.

Doris Fitschen, 42 Jahre, 144 Länderspiele, 16 Tore, seit August 2009 Managerin des Teams. In der Küche der einst „weltbesten Abwehrspielerin“ steht das berühmte Kaffeeservice, das der DFB 1989 den Europameisterinnen schenkte. Sie organisiert die Werbeauftritte der Sportlerinnen. Die WM-Barbie im Deutschlandtrikot ist ihre Idee.