Weltmännisch beswingend

Die letzte Sause der Plattenindustrie: Herbert Grönemeyer präsentiert sein neues Album „12“ in Köln. Ein wehmütiger Hauch der Belle Epoque der Popmusik weht dabei durch die verwinkelten Gänge

Bald ist Grönemeyer vielleicht schonder größte Indie-Rocker der Nation

VON RALF NIEMCZYK

Schicke Umhängetaschen aus geriffeltem Gummi von Mandarina Duck, wie noch zu Zeiten des „Chaos“-Albums, gibt es an diesem Abend nicht. Doch immerhin eine ökologisch korrekte Papiertüte mit einem bedruckten American-Appareal-T-Shirt darf die Pressemeute am Ende mitnehmen. Großer Bahnhof für Herbert Grönemeyers neues Album „12“ in der Alten Bahndirektion zu Köln. Der wuchtige Bau direkt am Rheinufer ist festlich illuminiert. Herbert kommt und platzt ganz offensichtlich vor bester Laune. Auch bei der kleinen Talkshow im vollbesetzten Foyer alles happy go lucky. „Sitzt ihr gut auf den Zahlen?“, fragt Herbert angesichts des durchgestylten Sesamstraßen-Designs, bei dem selbst die Wegweiser zu den Toiletten im Design der gekippten „12“ vom Coverlayout gehalten waren. 12 ehemalige Büroräume der protzigen Exbehörde sind als schummrige Hörstudios für jeweils einen Song eingerichtet. Mit weisen Textzeilen wie „Liebe erspart dir keinen Alltag – Bricht nicht die Wolken auf … Aber sie macht dich leicht“ auf den Wänden oder Bildschirmen. Das Ganze im Corporate-Design-Stil einer Modemesse, umgeben von Fussel-Flokati, schlaffen Sitzsäcken bei „Lied 8“, transparenten Riesenmurmeln eine Ecke weiter und lauschigem Herbstlaub nebenan. Deutschpop als Rauminszenierung.

Ein wehmütiger Hauch der Belle Epoque der Popmusik weht durch die verwinkelten Gänge. Es ist wie damals, als die Plattenbranche noch eine richtige Industrie war und mit Guns’n’Roses-Fußmatten oder Tina-Turner-Bademänteln nur so um sich warf. Eine Materialschlacht, die 2007 nur noch Volksheld Herbert Grönemeyer mit seinen drei Millionen verkauften Exemplaren von „Mensch“ und eindrucksvollen 800.000 abgesetzten Tickets für die anstehende Stadiontour in diesem Sommer rechtfertigt. Während am Rande der heiteren Medienrunde Nochmitarbeiter der Plattenfirma EMI über anstehende Auflösungsverträge tuscheln, spielt Grönemeyer auf dem Podium mit Freude eine Sympathiekarte nach der anderen. Da fehlt weder der geliebte VfL Bochum noch sein Engagement in Afrika. Fragen einer Lokalzeitung zum Saxofonisten aus Mannheim werden ebenso geduldig beantwortet wie die Lage von Volk und Nation beurteilt: äußerst positiv! Offenbar wirkt das Londoner Exil beswingend auf ihn. Wo er früher überspannt reagierte, hat er jetzt eine weltmännisch beschwipste Anekdote auf den Lippen. Wo langjährige Weggefährten wie Marius Müller-Westernhagen abgemeldet sind, dreht Herbert Grönemeyer noch einmal auf.

Bei all der heiteren Sushi-Stimmung am exquisiten Buffet hält sich eisern der Eindruck: Das ist die letzte große Sause der bundesdeutschen Plattenindustrie! Wenn Herbert Grönemeyer in ein, zwei, drei Jahren sein 13. Studioalbum rausbringt, wird es seine Plattenfirma EMI in heutiger Form nicht mehr geben. Beim Mutterhaus in England stehen die Zeichen auf Verkauf, Filetierung oder Fusion. Und der wohlgemute Herbert Grönemeyer ist dann vielleicht der größte Indie-Musiker der Nation.