BERLIN STATT TEL AVIV, HERTHA GEGEN HSV, AUSGIEBIGE KÖRPERKONTAKTE ZWISCHEN MÄNNERN UND FEHLENDE NUMMERNBOYS BEI DER KIEZBOXGALA : Völlerei, Neid, Zorn und Hochmut
VON JURI STERNBURG
Neuerdings werden mir von gemeinsamen Freunden oft junge Israelis untergejubelt, die ich durch das Nachtleben führen soll oder darf, je nachdem. Jetzt ist es zwar keine neue Erkenntnis, dass sich Berlin großer Beliebtheit erfreut, aber spätestens seit der auch in deutschen Medien besprochenen „Pudding-Revolution“ in Israel schießen die Kurztrip-Buchungen in die Höhe. Berlin–Tel Aviv, die neue Achse des Schokopuddings.
„That’s not really my cup of tea!“, antwortete sie mir jedoch kurz angebunden, als ich ihr von meinen Wochenendplänen berichtete. Logisch, der Glamourfaktor geht gleich null. Bis auf den Geiz und die Trägheit findet man im Fußballstadion ja so gut wie alle Todsünden. Völlerei, Neid, Zorn und Hochmut sowieso. Nur die Wollust ist spärlich gesät, auch wenn auf dem Feld ein Mann steht, der berufsmäßig Männern in kurzen Hosen hinterher pfeift. Doch spätestens wenn das erste Tor fällt, wird geknuddelt und geküsst, was das Zeug hält, im Trubel der Fankurven ist der ausgiebige Körperkontakt zwischen Männern gesellschaftlich akzeptiert. Die Rechnung ist ziemlich einfach: Hertha BSC gewinnt 3:0 gegen den Hamburger SV, und ich war mit zwei Freunden im Stadion. Dementsprechend wurde ich sechsmal ausgiebig umarmt und geküsst.
Wem das alles noch zu wenig Körperkontakt war, der ging am Abend ins Astra Kulturhaus, wo die Internationale Kiezboxgala zwischen Hertha BSC und Trabzonspor ausgetragen wurde. Nachdem der Festsaal abgebrannt ist und ein rascher Neuaufbau anscheinend nicht infrage kommt, sind die Veranstalter des Boxevents jetzt in die Konzerthalle in der Revaler Straße gezogen und haben gleich mal ein paar Kämpfer aus der Türkei eingeflogen. Auch dieser Plan gefiel der jungen Frau aus Tel Aviv, die inzwischen in New York wohnt, so gar nicht. Männer, die sich gegenseitig die Lichter ausknipsen, so etwas wollte sie wenn, dann im Berghain beobachten. Also stelle ich mich ohne sie an den Boxring.
Die jeweils sieben Boxer der beiden Mannschaften tun das, was man von ihnen erwartet, und die Nummerngirls, nun ja, auch die tun, was man von ihnen erwartet. Es gibt ein wenig Bier, circa 1.000 „Boxexperten“ geben ihren Senf dazu, die Kämpfe sind guter Durchschnitt, einige der Antifa-Veteranen beschweren sich, dass es keine Nummernboys gibt, und die vorherrschende Körperhaltung ist, mit verschränkten Armen und leicht zuckendem Kopf den Schlägen der Kontrahenten zu folgen.
Ein erneuter Versuch, den Besuch aus der Ferne zu locken, schlägt fehl. Auch das ist keine große Überraschung, was soll die gute Frau auch bei einem Konzert des ehemaligen „King of Rap“ Kool Savas. Selbiger stellt im Prince Charles sein neues Album „Märtyrer“ vor. Er war um die Jahrtausendwende mal äußerst innovativ. Inzwischen verfasst er Zeilen wie „Denn meine Worte sind krebserregend wie Schrimps“ und sorgt damit für Kopfzerbrechen. Hier ist die Frage „Was will uns der Künstler damit sagen?“ durchaus angebracht.
Nach dem Konzert habe ich ein schlechtes Gewissen und versuche die Dame mit kostenlosem Alkohol auf die Aftershowparty zu locken, doch sie antwortet nicht mal mehr. Mich beschleicht das Gefühl, dass sie mich für einen etwas einfachen, Fußball guckenden, gewaltaffinen Rap-Fan hält. An sich alles richtig, aber das sind eben nur 25 Prozent. Die restlichen 75 Prozent schauen sich taiwanesische Arthouse-Filme an und diskutieren in Theaterfoyers über drei Stunden dauernde Woyzeck-Inszenierungen.
Jetzt kann ich nur noch hoffen, dass die Dame eine Tratschtante ist und die Mär des nicht geeigneten Fremdenführers bei all den anderen Berlin-Besuchern verbreitet.