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Archiv-Artikel

hier und da, murphys law von RALF SOTSCHECK

Sprache ist verräterisch – vor allem in Nordirland. Protestanten bezeichnen die britische Krisenprovinz als „Ulster“, Katholiken sprechen von den „sechs Grafschaften“, weil bei der Teilung der Insel 1922 drei der neun Grafschaften Ulsters dem irischen Freistaat zugeschlagen wurden. Auch bei der zweitgrößten nordirischen Stadt ist sofort klar, auf welcher Seite man steht: „Derry“ heißt sie bei den Katholiken, „Londonderry“ bei den Protestanten.

Offenbar wird einem der semantische Wahn in Nordirland in die Wiege gelegt. Conor Murphy von Sinn Féin, dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), ist vorigen Monat zum Minister für Regionalentwicklung ernannt worden. Als erste Amtshandlung hat er seinen Mitarbeitern ein Memorandum mit Sprachregelungen vorgelegt, damit sie ihm gegenüber die richtigen Worte finden. Die Republik Irland soll man als „ganz Irland“ bezeichnen, wenn man mit ihm spricht. Das ist zwar geografischer Humbug, aber es ist Murphys Gesetz. Nordirland heißt bei ihm „Hier“, was ebenso töricht ist. Er hält das möglicherweise für neutral, und man hält ihn bei guter Laune, wenn man seine Wünsche berücksichtigt.

Selbstverständlich ist das Memorandum von seinen Mitarbeitern schnurstracks den anderen Parteien zugespielt worden. Besondere Freude ausgelöst hat es bei der Democratic Unionist Party des reaktionären Pfaffen Ian Paisley, der dank Sinn Féin seit vier Wochen nordirischer Premierminister ist beziehungsweise „hiesiger Premierminister“. Paisleys Parteifreund Gregory Campbell, dem noch nie im Leben „Derry“ über die Lippen gekommen ist, höhnte: „Was ist, wenn wir gegen England im Fußball gewinnen? Hier schlägt England eins zu null?“

Sein Parteifreund Sammy Wilson ließ sich die Gelegenheit zum Spott ebenfalls nicht entgehen. Bei der Debatte über Wohnungsbau im Belfaster Regionalparlament fragte er scheinheilig: „Wir reden über Wohnungen hier?“ Murphy ahnte, was kommen würde. „Wenn Nordirland hier ist, dann folgt daraus, dass die Republik Irland da ist“, fuhr Wilson fort.

Was aber, wenn jemand beim Minister anruft und dessen Mitarbeiter fragt, ob Murphy da sei? „Nein, er ist hier“, antwortet sie womöglich. Ob man ihn sprechen könne? „Nein, er ist nicht hier.“ Aber sagte sie nicht gerade, er sei hier? „Nein, ich sagte, er sei hier, aber er ist nicht hier.“

Murphy, dem die Sache inzwischen sichtlich peinlich ist, rechtfertigte sich: Er habe ja kein Sprachdiktat verhängt, sondern lediglich Richtlinien herausgegeben, damit seine Mitarbeiter wissen, welche Begriffe er bevorzuge. „Sie dürfen aber jede Terminologie benutzen, die ihnen passt“, fügte er hinzu.

Murphy ist ein Kind des Hier-Konflikts. Ein vereinigtes Da, wie Sinn Féin es seit Ausbruch dieses Konflikts angestrebt hat, wird es aber vorerst nicht geben. Die Partei hat anerkannt, dass Hier solange im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Hier bleibt, wie das eine Mehrheit wünscht. In der Zwischenzeit sollte er sich ums Internet kümmern: Wer „hier.de“ anklickt, wird auf „Shopping in Hannover“ umgeleitet, und das ist nun wirklich nicht hier. Andererseits ist Murphy auch nicht ganz da.