Am Hof des Dönerkönigs

Nach langer Planung schickt der WDR endlich sein junges Politmagazin auf Sendung: Ab nächster Woche kümmert sich „Echtzeit“ um den Alltag der 25- bis 45-jährigen. Politiker kommen nicht zu Wort

Mit vier Sendungen versucht der WDR zurzeit wieder, jüngere ZuschauerInnen anzulocken: „100 % gefühlsecht“ ist eine Art Bravo-TV für Twentysomethings (nächste Sendung: Mi., 23.15 Uhr), bei „in echt verliebt?“ (Fr., 22.30 Uhr) suchen Singles ihr Dating-Glück. Die Probesendungen vom Comedy-Talk „echt Böhmermann“ sowie von der Reportage-Reihe „echt im Leben“ sind bereits gelaufen. „Echtzeit“ ist trotz Titel und junger Zielgruppe dennoch nicht Teil dieser Programmoffensive.

AUS KÖLN BORIS R. ROSENKRANZ

Politik in der Glotze? Gibt es wahrlich zuhauf. Allein der WDR befasst sich in 18 TV-Sendungen mit Politik, zum Beispiel bei „Monitor“ oder im „Bericht aus Brüssel“. Eigentlich genug der staatstragenden Information, könnte man meinen. Doch am nächsten Montag, Punkt 22 Uhr, rückt Sendung Nummer 19 ins WDR-Programm: Das halbstündige Magazin heißt „Echtzeit“, richtet sich speziell an junge Leute und erhebt für sich den Anspruch, anders zu sein als die anderen Politmagazine im deutschen TV. Weshalb die Macher auch gleich auf etwas verzichten, womit die meisten Politiksendungen voll sind: auf Statements von Politikern und Experten.

Jürgen Thebrath findet das sinnvoll: „In unseren Nachrichtensendungen haben wir oft genug Leute, die erklären, wie alles läuft“, sagt der stellvertretende WDR-Chefredakteur, der das Geplapper der Politiker auf die Dauer „ermüdend“ findet und das „zu weit weg sei von den Zuschauern“. Deshalb lasse man bei „Echtzeit“ die Zuschauer eben selbst sprechen: „Wie meistern junge Menschen ihr Leben? Welche Probleme haben sie dabei? Das wollen wir zeigen.“ Die Idee dazu geistert schon länger durch den WDR: Chefredakteur Jörg Schönenborn war es, der den Anstoß gab, ein Politik-Magazin für junge Leute zu machen. Heißen sollte das zunächst „Studio P“, was aber in Ermangelung eines eigenen Studios wieder verworfen wurde.

Nun sitzt die Redaktion im fünften Stock des WDR-Filmhauses, ein grauer Klotz mitten in Köln. Die Büros sind eben erst fertig geworden: zwei kleine Räume mit Blick auf Hausdächer, nicht schön, aber zweckmäßig. Zumal die Redakteure „Echtzeit“ bloß nebenher betreiben, als Zusatzprojekt. Mathias Werth ist Redakteur bei „Monitor“, Martin Hövel Leiter des ARD-„Morgenmagazins“. Zusammen mit Christian Feld von der „Tagesschau“ und der freien Autorin Eva Müller sitzen sie hier, in „der Werkstatt“, wie Werth das Büro gern nennt, weil alles noch so provisorisch ist, und arbeiten sich an der Jugend ab.

In der Konferenz wird schnell klar, welches die Geschichten sind, die „Echtzeit“ in relativ langen Beiträgen anhand einzelner Personen erzählen will: Es geht um Multi-Jobber und junge Reiche, um einem Soldaten, der sich für den Krieg wappnet, um das böse Burn-out-Syndrom, um Elternzeit – und immer wieder ist vom „Dönerkönig“ die Rede, einem jungen Türken, der einen Reibach mit Dönertüten gemacht haben soll.

Sicher: Harte Politikthemen sind das nicht. „Gesellschaftspolitisch“, sagt Autorin Müller. Und Werth fügt ein, dass es darum gehe, Themen aufzunehmen, „die von Relevanz sind für junge Leute und die zeigen, wie sich Politik auswirkt auf das alltägliche Leben“. Und zwar ohne sie mit dem erhobenen Zeigefinger zu erzählen – und ohne optischen Schnickschnack: „Wir wollen eine eigene Bildsprache etablieren“, sagt Werth: „Aber dieses Aufgemotzte, Getunte, wie man es aus anderen jungen Formaten kennt: das wollen wir nicht.“

Eine Moderation zwischen den Beiträgen wird es deshalb auch nicht geben. Stattdessen sollen Szenen aus dem Redaktionsalltag eingebaut werden: „Wir wollen transparent machen, wer die Leute hinter der Kamera sind und was sie an diesem Beitrag selbst interessiert“, sagt Werth. Das soll Nähe zur Zielgruppe schaffen, die als jung bezeichnet wird, wobei jung ein dehnbarer Begriff zu sein scheint. So richtet sich „Echtzeit“ an Menschen zwischen 25 und 45 Jahren. Würden ein paar von ihnen einschalten, käme das aber schon einer Frischzellenkur gleich: Denn mit im Schnitt 61 Jahren sind etliche WDR-Zuschauer gewissermaßen vom Aussterben bedroht. Oder wie Jürgen Thebrath sagt: „Das Alter unserer Zuschauer zu senken, ist eine Überlebensfrage für den WDR.“

Bislang aber tut sich der öffentlich-rechtliche Kanal schwer mit der Jugend. Nein, falsch: Die Jugend tut sich schwer mit dem WDR. Dabei wurden in den vergangenen Monaten einige neue Formate verheizt, die explizit auf ein junges Publikum abzielen sollten (siehe Kasten). Allein – gut war davon das wenigste. Und gesendet wurde das meiste in tiefdunkler Nacht. „Weil man sich da nicht so viele Beulen holt, wenn etwas schiefgeht“, sagt Thebrath. Er weiß, wovon er spricht: Beulen gab es in der Vergangenheit einige. Es werden nicht die letzten gewesen sein.

Acht Folgen sind von „Echtzeit“ zunächst geplant. Es gebe zwar keinen Quotendruck, versichert Thebrath, aber natürlich werde man darauf achten, „wie die Sendung in der Öffentlichkeit ankommt und diskutiert wird“. Die einzige Vorgabe laute, nicht langweilig zu sein. Was für einen Journalisten eigentlich selbstverständlich sein sollte.

Auch deshalb nennt Mathias Werth, mit 48 Jahren übrigens der Älteste im Team, sein Büro gern Werkstatt. Weil das Produkt, an dem hier gewerkelt wird, ein „Experiment“ sei – wie alles eben, was beim WDR mit Jugend zu tun hat. Und dass Politiker bei diesem Experiment keine Rolle spielen, findet auch Werth logisch, der bei „Monitor“ oft mit Berliner Worthülsen konfrontiert wird. Ausgesprochen klingt das jedoch wie die Trotzreaktion eines enttäuschten Politikjournalisten: „Dort, wo Politiker hart gefragt werden, büchsen sie aus“, sagt Werth. „Und das haben sie nun eben davon – wir fragen sie einfach nicht mehr.“