: Start mit Steinmeiers Niere
ORGANSPENDE Rund 12.000 Menschen warten auf ein Spenderorgan. Ein neues Gesetz muss her, fordert die Politik. Heute debattieren Experten im Bundestag
Carola Reimann, Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag
AUS BERLIN STEFFI DOBMEIER
Die Debatte ist nicht neu. Deswegen aber nicht weniger dringlich: In Deutschland fehlen Spenderorgane, und das nicht zu knapp. Auf etwa 1.000 schätzt die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) die Zahl der Patienten, die pro Jahr sterben, weil sie kein neues Herz, keine neue Leber oder keine neue Niere implantiert bekommen.
Um die Zahl der Spender zu erhöhen, schaltet sich jetzt die Politik ein. Ein neues Gesetz muss her, darüber sind sich wohl die meisten einig. Weniger Harmonie herrscht allerdings bei der Frage, wie das Regelwerk aussehen soll und nach welchen Kriterien man die Bürger dazu bringt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Um ethische und rechtliche Fragen zu klären, findet am heutigen Mittwoch eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages statt.
Transplantationsexperten, Medizinethiker und auch die Kirche sollen Stellung beziehen. „Noch ist das Verfahren vollkommen offen“, sagt die Vorsitzende des Ausschusses, Carola Reimann der taz. Damit will sie dem Eindruck entgegenwirken, es gebe längst eine Mehrheit für eine Lösung.
Immerhin, es gibt zwei grundsätzliche Richtungen: Eine, die auf der einmaligen Entscheidung der Bürger für oder gegen die Organspende basiert. Das setzt voraus, dass sich jeder – gezwungenermaßen – mit dem unliebsamen Thema befasst. Diesen Zwang zu einer Entscheidung in die ein oder andere Richtung findet nicht jeder gut, allen voran die FDP, die auf das Recht pocht, sich auch einfach mal nicht entscheiden zu müssen.
Ein anderer Ansatz will Organspenden zur Regel machen. Für diese „erweiterte Widerspruchsregelung“ plädiert etwa Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU). Jeder Bürger ist also automatisch Spender, solange er sich nicht ausdrücklich dagegen ausspricht. Auch einige seiner Kollegen aus den Ländern wollen diese Initiative unterstützen.
Die lauteste Unterstützung gibt es bisher für die erste Richtung, die Entscheidungs- oder Erklärungslösung. Unions-Fraktionschef Volker Kauder hat bereits angekündigt, einen entsprechenden Gruppenantrag vorzulegen. Ginge es nach ihm, muss sich jeder Bürger einmal entscheiden, ob er Organe spenden will oder nicht. Die Information darüber soll dann im Personalausweis, dem Führerschein oder der Krankenversicherungskarte gespeichert werden. Auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier will mitmachen. Was nicht verwundert, denn er selbst hat bereits ein Organ gespendet.
„Steinmeiers Nierenspende an seine Frau vor etwa einem Jahr hat das ganze Thema erst losgetreten“, sagt Reimann. Zwar gibt es seit einem Jahr eine EU-Direktive, die vorschreibt, dass Deutschland bis Mitte 2012 ein neues Gesetz vorlegen muss. Aber, so die Ausschussvorsitzende, emotional sei das Thema seit Steinmeiers Spende wieder auf der Agenda.
Das freut auch die DSO. „Durch die Debatte über eine mögliche Gesetzesänderung rückt das Thema erfreulicherweise wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein“, sagte der medizinische Vorstand Günter Kirste der taz. Und schiebt hinterher: Eine Gesetzesänderung allein sei aber nicht das Patentrezept gegen den Organmangel. „Noch wichtiger sind strukturelle Veränderungen und mehr Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit aller an der Organspende beteiligten Partner.“
„Technische Details“, wie es Carola Reimann nennt. Zuerst steht die grundsätzliche Entscheidung, wie man die Zahl der potenziellen Organspender erhöhen kann. Die SPD-Gesundheitsexpertin erwartet eine kontroverse Debatte.