„Das Demoverbot ist doch paranoid“
Sternmarsch-Bündnis reicht Verfassungsbeschwerde ein. Die Sicherheitsansprüche seien übertrieben und absurd
„Die Befindlichkeit der Staatsgäste darf nicht Vorrang vor der Demonstrationsfreiheit haben“
Die G-8-Gipfelgegner wollen den Protest doch noch nach Heiligendamm tragen. In der Nacht zum Montag hat die Hamburger Rechtsanwältin Ulrike Donat im Namen des Sternmarsch-Bündnisses beim Bundesverfassungsgericht gegen die weiträumigen Demonstrationsverbote geklagt. Sie reichte eine der taz vorliegende 21-seitige Verfassungsbeschwerde inklusive Antrag auf einstweilige Anordnung ein.
Damit will das Bündnis erreichen, dass die Gipfelgegner am Donnerstag doch noch einen Protestzug Richtung Heiligendamm durchführen können. Außerdem wurde beantragt, dass eine Delegation von 600 Demonstranten aus unterschiedlichen thematischen Spektren „stellvertretend für den gesamten Protestmarsch“ bis vors Kempinski-Hotel in Heiligendamm ziehen kann.
Die Klage wendet sich gegen eine Entscheidung des Oberverwaltungsgericht (OVG) Greifswald von voriger Woche. Dieses hatte lediglich eine Demonstration in zwei Routen auf die Kreisstadt Bad Doberan zugelassen und das großflächige Versammlungsverbot um Heiligendamm bestätigt.
Donat hält dies für völlig unzureichend. „Zwei Routen sind kein Sternmarsch und ermöglichen nicht die Verteilung auf verschiedene Themenblöcke“, erklärte sie. An Orte, die keinen Bezug zum Gipfel haben, ließen sich auch kaum Demonstranten mobilisieren. „Dort ist ein Beachtungserfolg unwahrscheinlich, es besteht keine Sicht- und Hörweite zum Gipfel“, so Donat. Auch die Medien wären weniger interessiert.
In der Klage greift sie vor allem die Argumentation des OVG an, das Eingriffe in die Demonstrationsfreiheit mit „auswärtigen Belangen“ der Bundesrepublik begründete. Die Staatsgäste könnten die Duldung von Demonstration in Heiligendamm als „unfreundlichen Akt“ empfinden und in ihrem subjektiven Sicherheitsgefühl gestört sein.
Donat hält es für eine Verletzung der Souveränität der Bundesrepublik, wenn sich ein Sicherheitskonzept maßgeblich nach ausländischen Wünschen richtet. Solche Befindlichkeiten könnten nicht Vorrang vor der Demonstrationsfreiheit haben, sonst könnten ausländische Politiker letztlich über die Reichweite der Grundrechte in Deutschland bestimmen.
Die Zuständigkeit für die Pflege auswärtiger Beziehungen gebe der Bundesregierung nicht das Recht, „wie ein absolutistischer Herrscher das Volk von allgemeinen Flächen auszusperren, um sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit Gästen zu verlustieren“.
Die kollektive Meinungsfreiheit einer Versammlung erfasse auch das Recht, „an der Möglichkeit des Gehörtwerdens nicht von der Polizei gehindert zu werden“. Andernfalls würde sich die Bundesrepublik nicht von Russland unterscheiden.
In der Argumentation des OVG, das alternative und redundante Rettungswege für alle theoretisch denkbaren Gefahren verlangt, sieht Donat „absurde und paranoide Züge“.
Karlsruher Beobachter gehen davon aus, dass die zuständige Kammer des Bundesverfassungsgerichts heute oder morgen ihren Beschluss verkünden wird. CHRISTIAN RATH