: „Bürger können die Kohlekraftwerke vor Ort noch verhindern“
Die Menschen reagieren empört auf die zaghafte Klimapolitik, glaubt Ex-Landesumweltministerin Bärbel Höhn von den Grünen. Sie fordert eine Denkpause, bevor neue Kohlekraftwerke gebaut werden – gibt aber auch zu, während ihrer Regierungszeit den Klimawandel unterschätzt zu haben. Jetzt können Bürger ihre Kraftwerke verhindern
BÄRBEL HÖHN, 54, war bis 2005 Umweltministerin von NRW und ist heute Vize-Chefin der grünen Bundestagsfraktion. Sie setzt auf Bürgerbewegungen für den Klimaschutz, würde aber lieber heute als morgen den Energieriesen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall die Stromnetze wegnehmen
taz: Frau Höhn, Sie setzen sich für eine Bürgerbewegung gegen neue Kohlekraftwerke ein. Sie als Politikerin können also nichts mehr unternehmen?
Bärbel Höhn: Mir geht es um eine Bürgerbewegung für den Klimaschutz. Anfänge einer solchen Bewegung gibt es ja schon. Zum Beispiel in Lünen, wo sich hunderte Menschen gegen das neue Kohlekraftwerk wehren. Solche Initiativen kann ich als Politikerin natürlich unterstützen.
Geben Sie Ihre politische Verantwortung an die Betroffenen vor Ort ab?
Nein, die empörten Reaktionen sind eine Konsequenz der Politik. Die Menschen wollen, dass mehr passiert. Sie protestieren gegen eine Politik, die zum Beispiel beim G-8-Gipfel in der Klimafrage viel zu zaghaft voran geht. Die Bundesregierung kann doch nicht auf der einen Seite ehrgeizige Klimaziele verkünden und auf der anderen Seite Kohlekraftwerke fördern, die Klimakiller sind und die Gesundheit gefährden.
Was können die Menschen vor Ort denn bewirken?
Sie können mit guten Argumenten gegen die Vorschläge ihrer Lokalpolitiker vorgehen. Auch hinter der Entscheidung der Stadt Krefeld gegen ein Kohlekraftwerk steht ja eine Bürgerbewegung. Weil sich jetzt aber die Kohle-Befürworter eingeschaltet haben, ist der Kampf noch nicht entschieden.
Nach der Absage aus Krefeld hat sich Hamm um das Kraftwerk beworben. Verpufft der Protest durch die Konkurrenz der Städte untereinander um den Standort?
Der Oberbürgermeister von Hamm ist mit der Kohle derart traditionell verhaftet, dass er offenbar gar nicht anders handeln kann. Solche Politiker verteidigen fossile Energien mit fossilem Denken. Dagegen regt sich zu Recht Widerstand. Dieses rückwärts gewandte Denken wird es aber leider immer geben.
Wünschen Sie sich grüne Ökokommunen?
Ich meine nicht eine grüne Ökobewegung. Die Bewegung darf nicht bei den Grünen stehen bleiben. Sie sollte nicht an einer Partei hängen, sondern an der Sache. In Krefeld haben sich ja auch Geschäftsleute und Wirtschaftsvertreter an dem Protest beteiligt. In Bielefeld ist auch die CDU noch skeptisch, ob sie ein neues Kohlekraftwerk will.
Das Landeswirtschaftsministerium verspricht sich durch modernere Kohlekraftwerke eine Einsparung von 16 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Land. Ist es da nicht irrsinnig, gegen die neuen Anlagen zu protestieren?
Überhaupt nicht. Diese 16 Millionen Tonnen reichen bei weitem nicht aus. Wir hatten im Jahr 1990 einen Ausstoß von 1.030 Millionen Tonnen Kohlendioxid insgesamt in Deutschland. Diesen Ausstoß muss Deutschland bis 2050 um 80 Prozent reduzieren, um seinen Beitrag zu leisten, damit der Temperaturanstieg auf höchstens zwei Grad beschränkt bleibt. Das heißt, es bleiben noch gut 200 Millionen Tonnen CO2 übrig. Von denen würden die geplanten Kohlekraftwerke allein 170 Millionen Tonnen ausstoßen. Für die privaten Haushalte, für Industrie und Verkehr blieben also nur noch 30 Millionen Tonnen übrig. Diese Rechnung geht nicht auf, auch wenn die neuen Kraftwerke effizienter sind.
Und wo soll der nötige Strom für Nordrhein-Westfalen herkommen?
Statt eines großen Kraftwerks brauchen wir neben erneuerbaren Energien viele dezentrale Kraftwerke, die Wärme und Strom produzieren und damit viel effizienter sind als die geplanten Großkraftwerke. Auf jeden Fall brauchen wir eine Denkpause, bevor wir mit neuen Kohlekraftwerken die Zukunft verbauen.
Aber Sie haben sich in Ihrer Zeit als grüne Landesumweltministerin doch ebenfalls für effiziente Kohlekraftwerke eingesetzt.
Das stimmt. Seither ist aber deutlich geworden, dass der Klimawandel viel dramatischer verläuft, als früher angenommen. Das hat sogar die Wissenschaftler überrascht. Daher müssen wir heute entschiedener handeln als noch vor einigen Jahren.
INTERVIEW: MORITZ SCHRÖDER