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Archiv-Artikel

... und hier die neuen KlimaretterDie Umweltverbände

Weil bei der Kohle-Verstromung klimaschädliches CO2 und jede Menge anderer Schadstoffe entstehen, wehren sich immer mehr Menschen gegen neue Kraftwerke in NRW – im Rat, in Umweltverbänden, Bürgerinitiativen, als Mediziner oder Hungerstreiker

UND WAS KÖNNEN SIE TUN?

Wenn ein Steinkohlekraftwerk in ihrer Stadt gebaut wird...

...Verbünden Sie sich mit Ihren Nachbarn ...Nehmen Sie Kontakt zu Umweltverbänden wie dem BUND in Ihrer Nähe auf. Ihr Kraftwerk ist nicht das erste, dass sie bekämen ...Lesen Sie die Planungsunterlagen für das Kraftwerk im Rathaus. Schreiben Sie wegen aller Ungereimtheiten Briefe oder noch besser: Einwendungen an die Stadt und die zuständige Bezirksregierung. Das verzögert den Planungsablauf ...Gründen Sie eine Bürgerinitiative ...Informieren Sie sich über die Mitbestimmungsparagraphen ihrer Gemeinde und initiieren Sie ein Bürgerbegehren oder einen Einwohnerantrag ...Reden Sie auf Ihre Lokalpolitiker ein. Die können nämlich oft den Bebauungsplan so verändern oder eben nicht verändern, dass ein Kraftwerksbau unmöglich wird. Benutzen Sie Ihr Wahlverhalten als Waffe ...Und: Wollten Sie nicht sowieso mal fasten?

Für die großen Energiekonzerne sind sie die Blockierer der Stromwirtschaft: Überall, wo es im Land um Kohle geht, sind Mitglieder des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) auf den Beinen. Den neuen Braunkohleabbau Garzweiler II wollen Geschäftsführer Dirk Jansen und Mitstreiter mit einer Obstwiese in seine Grenzen weisen, die dem BUND gehört und dem Bagger im Weg liegt. Derzeit läuft das Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster. Bei dem Kampf gegen neue Kohle-Kraftwerke sind es häufig BUND-Mitglieder vor Ort, die Protestbewegungen ins Leben rufen. Etwa gegen den Eon-Steinkohlebau in Datteln, wo im Februar Sicherheitsleute gegen Aktivisten handgreiflich wurden. Dort hatte der BUND Anfang des Jahres erfolglos versucht, mit einem Eilantrag gegen die Zerstörung von 60 Hektar Naturfläche den Neubau zu verhindern, und klagt gerade gegen die emissionsschutzrechtliche Genehmigung. Aktuell sind Mitglieder unter anderem in Bielefeld, Herne und Köln gegen die neuen Klimakiller aktiv. In Herne protestiert Claudia Baitinger für den BUND: „Als Bürger sind wir ganz klar ausgehebelt worden“, sagt sie. Weil der Betreiber Steag die BürgerInnen nicht ausreichend über sein Bauvorhaben informiert habe, haben die AktivistInnen Beschwerde bei der EU eingelegt. Auch eine Klage gegen die ausstehende Genehmigung hält Baitinger für möglich: „Dafür fehlt uns aber noch das Geld.“ MOE

Der Stadtrat

Im Düsseldorfer Stadtrat sind Abgeordnete aller Parteien gegen das von den Stadtwerken geplante 400 Megawatt starke Steinkohlekraftwerk. CDU, FDP, SPD und Grüne sind gemeinsam skeptisch. „Es hat bei uns ein Umdenken stattgefunden“, sagt Annette Steller, Geschäftsführerin der SPD-Ratsfraktion. Ein Grund für die SPD: „In dem neuen Werk wird ja ohnehin kaum mehr heimische Steinkohle verbrannt.“ Und: Bevor über ein neues Kraftwerk gesprochen werden könne, müssten erst einige Bedingungen erfüllt sein, so Steller. Einstimmig wurde im Rat ein Forderungkatalog an die Stadtwerke beschlossen. Energiesparmaßnahmen und die Erweiterung der Fernwärmenetze fordern die Kommunalpolitiker. „Erst wenn alle Bedingungen erfüllt sind, können wir entscheiden, ob ein neues Kraftwerk überhaupt nötig ist“, sagt der umweltpolitische Sprecher der SPD, Peter Hansen. Auch Hansens Fachkollege von der CDU, Rüdiger Gutt, gesteht ein: „Die politische Diskussion hat sich bei uns in den vergangenen Jahren gewaltig gedreht.“ In Richtung Klimaschutz. Was das neue grüne Bewusstsein nutzt, ist aber noch ungewiss. Denn seit Ende 2005 hält der Energiekonzern EnBW eine Mehrheit der Stadtwerke. Die Abgeordneten von FDP und CDU wollten es so. MOE

Die Mediziner

Asthma, Neurodermitis, Blutfontänen aus der Nase – Karl Kluges Krankheitsliste ist lang. Und öffentlich. Der Lüner Kinderarzt will kein neues Kohlekraftwerk in seiner Stadt. Seine kleinen Patienten seien schließlich von den bereits existierenden Kraftwerken und Industrieanlagen schon stark geschädigt. Seit einigen Wochen schickt er Haarproben von Patienten ins Labor und lässt sie auf Blei und Arsen untersuchen. Das Ergebnis: Die medizinischen Grenzwerte werden ums Doppelte überschritten. „Hier muss etwas abgeschaltet werden, statt neu gebaut“, sagt der Arzt. Zusammen mit 32 Ärzten aller Fachrichtungen hat Kluge jetzt eine Ärzteinitiative ins Leben gerufen, die immer wieder die Auswirkungen von Feinstäuben und Schwermetallen auf die Gesundheit öffentlich macht. Auch in Krefeld gab es eine ähnliche Ärzteinitiative gegen einen Kraftwerksbau. Zusammen mit einer Bürgerinitiative hat Kluge in Lünen tausende Bürger davon überzeugt, einen Einwohnerantrag zu unterschreiben und hunderte Einwendungen an Stadt und Bezirksregierung zu schreiben. MIB

Die Hungerstreiker

In Krefeld hungern sie für ein Gasturbinenkraftwerk. Und für das Weltklima. Und für all die umweltkranken Menschen in der Stadt. Vor allem aber gegen den Neubau eines Steinkohlekraftwerks. Zur Zeit ist Illona Soyka an der Reihe. Seit einer Woche lebt die 56-jährige Hausfrau jetzt von Tee und Wasser. Sie ist neben dem Bayer-Chemiepark aufgewachsen. Als Kind wurde sie von ihren Eltern immer vom Spielen hereingerufen, wenn es wieder zu stark qualmte. „Jetzt wehre ich mich gegen den Qualm“, sagt sie. In ein paar Tagen wird sie abgelöst. Dann hungert ein anderer Krefelder weiter, dann noch einer und dann noch einer. „Wir machen das jetzt über Monate“, sagt Ulrich Grubert, Vorsitzender des Niederrheinischen Umweltschutzvereins. „Bis das Projekt aufgegeben wird.“ Er selbst hat im März mehrere Wochen gegen das Kraftwerk gehungert. Er hörte auf, weil der Krefelder Stadtrat aus Klimaschutzgründen gegen das Kraftwerk im Chemiepark Uerdingen stimmte. Inzwischen wackeln die meisten Politiker und wollen noch einmal abstimmen. Also: Viel Tee! MIB

Die Bürger

Charlotte Brinkmann hat es im Duisburger Anzeigenblättchen gelesen. Ein Kraftwerk wird gebaut. Das dritte in ihrem Stadtteil Walsum, in dem außerdem die Feinstäube von Thyssen Krupp wehen. Zusammen mit ihren Nachbarn hat die 48-jährige EDV-Dozentin eine Bürgerinitiative gegründet. Sie haben eine Normenkontrollklage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht, das zahlt die Rechtsschutzversicherung einer Mitstreiterin. Außerdem klären sie an Ständen, auf Flugzetteln und Podien über regenerative Energien auf. Seit der Kraftwerksbau in Walsum im vergangenen Jahr begann, sind die Aktiven dieser BI weniger geworden. Trotzdem: In fast allen Kraftwerkstandorten in NRW sind Bürgerinitiativen entstanden, zu deren Veranstaltungen wie zuletzt in Lünen hunderte interessierte Bürger strömen. In den Kernteams dominieren Alt-68er mit akademischem Hintergrund. „Es ist sehr schwer, die Stahl- und Kohlearbeiter des Ruhrgebiets zu überzeugen“, sagt Charlotte Brinkmann. „Für sie wiegt das Arbeitsplatzargument eben sehr schwer.“ MIB