: Pustekuchen
FESTIVAL Solider Nachwuchsjazz, Juxiges aus Italien und ein mild gestimmter Elliott Sharp: Das Eröffnungskonzert des Jazzfests Berlin präsentierte sich gediegen und etwas betulich
■ Das Jazzfest dauert noch bis Sonntag, Spielorte sind das Haus der Berliner Festspiele, die Akademie der Künste im Hanseatenweg, das A-Trane und die Gedächtniskirche. Auf dem Programm stehen unter anderem noch das Treffen von Archie Shepp mit Jasper van’t Hof, der Auftritt des Schlagzeugers Daniel Humair, der bereits 1964 bei den ersten Berliner Jazztagen spielte, und der Hochenergiejazz des Saxofonisten Mats Gustafsson. Programm: www.berlinerfestspiele.de
■ Man kann das Jazzfest auch im Radio hören, unter anderem auf RBB-Kulturradio und auf Deutschlandradio Kultur.
VON THOMAS MAUCH
Am besten ist der Jazz natürlich, wenn er gar nicht erst artig um Aufmerksamkeit heischt, sondern einen gleich umbläst und dann nicht nachlässt mit seinen Turbulenzen, sodass man hinterher als Publikum sich und seine Ohren doch wieder neu in Ordnung bringen muss.
Aber so ist der Jazz halt nicht immer.
Manchmal bläst er nur die Backen auf und pustet dann einen einfach schön einstudierten, wohltemperierten, sich sorgfältig nach allen Seiten hin vergewissernden und bestens ausbalancierten Mittelklassejazz, wie man ihn wohl nach einem absolvierten Jazzstudium spielen können muss – und genau das machte das noch recht junge Quartett um die Schlagzeugerin Eva Klesse am Donnerstagabend im Haus der Berliner Festspiele, in dem mit dem Francesco Bearzatti Tinissima 4tet aus Italien auch noch ein arg juxiger Unterhaltungsjazz zu hören war, der für seine Travestiespiele mit Rock- und Discoversatzstücken Vorlagen von Thelonious Monk entfremdete.
Aber die eigentlichen Hoffnungen bei diesem Eröffnungskonzert vom Jazzfest Berlin, das in diesem Jahr sein Fünfzigjähriges feiert, lagen ja auf Elliott Sharp, dem Saxofonisten und Gitarristen und neben John Zorn der andere große Zeremonienmeister der New Yorker Downtown-Szene. Einer, der schon auch diese Musik kennt, die einen zerrütteln und verschütteln kann, mit radikaler Improvisation, mit Noise und verschärftem Rock. Ein Jazz also, zu dem man gar nicht mehr unbedingt Jazz sagen muss.
Deswegen durfte man gleich mal aufmerken, dass das Konzert seines etwas aufgestockten Terraplane-Projekts mit einem besengerührten Schlagzeug begann und mit ganz sacht in den Saal getupften Tönen. Als ob man auf der Bühne zuerst noch einmal richtig durchatmen müsste.
In Erinnerung an an den Besuch von Martin Luther King vor 50 Jahren in Berlin, der dabei auch den ersten Jazztagen ein persönliches Vorwort widmete, wurde Sharp, Jahrgang 1951, von Festivalleiter Bert Noglik mit einer Auftragskomposition betraut, und in diesem „Tribute: MLK Berlin ’64“ war dann so ziemlich alles zu hören, was der Jazz bereits mal an Rollen gespielt hat. Mal klassisch in der Form, dann, als Kontrast, mit den zeternden Freiheitsschreien des Free Jazz, zwischendurch, wenigstens in knappen Skizzen, die Geräuschmusik mit dem improvisatorischen Geröll. Und mehr noch liebevolle Rückblicke: auf die Spirituals und auf den Blues, rockend, funky, mit reichlich Soul, was als Referenz an Martin Luther King und die Mittsechzigerjahre wohl einfach so sein musste.
Ein paar Takte dies, ein paar Takte das. Letztlich halt eine Nummernrevue, bei der man im Haus der Berliner Festspiele schon auch richtig guten Jazz hörte und mitreißende Freiflüge der Musiker. Eindrucksvoll, wie Sharp an der Gitarre ganz plausibel zwischen Abstraktion und dem Blues stakste, weil Sharp ja ein großartiger Instrumentalist ist und auch Denker von Musik, der allerdings mit seinem MLK-Tribute als Konzeptualist dann doch nicht ganz an die musikalischen Bilderbögen etwa eines John Zorn heranreichte.
Dafür war das alles dann doch arg aufgezählt. Ein wenig brav und betulich. Gediegen halt. Wirklich umgeblasen hat es einen jedenfalls nicht. Der Jazz mal eher in seiner lauwarmen Betriebstemperatur.