„Wie sollen wir hier räumen?“

Bei den Blockaden der Zufahrtswege nach Heiligendamm greifen die Gipfelgegner auf bewährte Konzepte der Anti-AKW-Bewegung zurück. Dazu gehören Disziplin, Ausschwärmen in die Felder und Wälder – und Spaß. Und ein Bauernopfer

VON FELIX LEE
UND CHRISTIAN HONNENS

Die G-8-Gegner haben den Gipfel um 10.55 Uhr erreicht. Zu Tausenden formieren sie sich auf der Spitze des Bollenbergs, 51 Meter über dem Meeresspiegel. Am Fuße des Hügels: die Trabrennbahn von Bad Doberan. Ebenfalls in Sichtweite: das Polizeibollwerk vor dem Sicherheitszaun. Dahinter liegt Heiligendamm.

Zwei Stunden Fußmarsch haben die rund 6.000 AktivistInnen hinter sich. Vom Camp Reddelich hatten sie sich in Richtung Zaun aufgemacht, sich durch den Wald geschlagen – jetzt sind sie hier versammelt. Die Nebelschwaden haben sich verzogen, die Sonne knallt.

Der 19-jährige Jan ist seit sieben Uhr auf den Beinen. „Gerade einmal fünf Stunden habe ich geschlafen“, sagt er. Bis spät in die Nacht sei im Camp intensiv diskutiert worden. Und es hat sich gelohnt. „Alle sind unglaublich diszipliniert“, sagt Jan. Niemand ist schwarz verkleidet, die Stimmung prächtig. Und nach den Gesprächen mit der Polizeileitung vor ein paar Tagen wurde für die Blockadeaktionen vereinbart: Wenn Steine fliegen, wird abgebrochen.

Auf dem Bollenberg herrscht mehr Woodstock als Rostock vor vier Tagen. „If you are not violent, clap your hands“, singt eine Truppe. Jubel bricht aus, als die „Fuck-Kapelle“ in abgewetzten Uniformen und mit Trommelwirbel den Hügel erreicht. Durchs Megafon wird berichtet, dass sich tausende Menschen von Admannshagen zwischen Bad Doberan und Rostock ebenfalls auf den Weg gemacht haben. Die Kollegen peilen allerdings einen Zielort am anderen Ende der Sicherheitszone an: Börgerende, ein sonst stilles Dorf an der Ostsee. Zum Strand sind es zehn Minuten, zum Sperrzaun drei Kilometer Luftlinie.

Am Nachmittag ist das Ziel erreicht. Die Gipfelgegner kommen aus dem Wald und über die Felder. Die Straßen sind von der Polizei gesperrt. Wasserwerfer stehen quer. Die Polizisten bilden lockere Ketten. Doch die paar tausend AktivistInnen haben von der Antiatomkraftbewegung gelernt. Von „X-tausendmal quer“ kommt das Konzept, mit dem sie die Polizeiblockaden überwinden wollen: Statt auf der Straße hintereinander herzutrotten, bilden sie breite Ketten mit wenigen Reihen. Vorne gehen die weniger Mutigen friedlich auf die Polizisten zu, die Frecheren schwärmen aus.

Drei Kilometer breit ist die Linie. Mit Wasserwerfern und Tränengas kann die Ordnungsmacht da nur wenig ausrichten. Die Hauptstraße vor Börgerende ist schnell blockiert. Die Polizeikräfte sind zurückhaltend, manch ein Beamter hält ein Nickerchen.

Auf dem Bollenberg dagegen will sich noch keiner entspannen. Der Tross hat sich aufgeteilt, man läuft von drei Seiten über das Haferfeld – und nimmt Kurs auf den Sperrzaun. „Die armen Bauern“, sagt eine junge Frau noch. „Aber das muss jetzt wohl sein.“ Eine zehnköpfige Polizeikette versucht die ersten noch aufzuhalten, weicht dann aber lieber zurück. Nur hinter den Zaun wird niemand gelassen. Auch nicht die Fuck-Kapelle, die sich inzwischen zur Spitze durchgeschlagen hat und zwei Polizisten zur Weißglut bringt.

Demo-Clowns überreichen dem Einsatzleiter eine rote Mohnblume. Die Lage entspannt sich. Die Lindenallee vor dem Zaun ist besetzt. „Wir haben unser Ziel erreicht“, verkündet Block-G-8-Sprecher Christoph Kleine. Ein anderer sagt: „Wir sind hier und wir bleiben hier.“

Ein Polizist stellt die rhetorische Frage: „Wie sollen wir denn hier räumen?“ Zu viele Bäume und Steine am Wegesrand, Räumpanzer könnten da nicht vernünftig eingesetzt werden. Die Aktivisten verteilen geduldig Getränke und belegte Stullen. Im Camp sei gesagt worden, man müsse sich auf 48 Stunden einrichten, sagt eine Demonstrantin. Sie ist zuversichtlich: „Inzwischen glaube ich wirklich: Das könnte klappen.“ Und in Börgerende? Dort warten alle sehnsüchtig auf die angekündigte Musik. MITARBEIT: TORBEN IBS