: Stresstest
Der geplante Tiefbahnhof Stuttgart 21, so war die Hoffnung vieler Gegner, werde am Stresstest scheitern – sei es wegen der nicht ausreichenden Leistungsfähigkeit oder wegen teurer Nachbesserungen, die nach der Computersimulation nötig werden. Jetzt schaut es so aus, als scheitere ein Minister am Stresstest: der Verkehrsminister Winfried Hermann
von Sandro Mattioli
Es war eine Äußerung, vom einen im Vertrauen gesagt, vom anderen als offizielles Statement verstanden. Die Bahn schaffe nach durchgesickerten Informationen „den Test irgendwie“, soll Winfried Hermann einem Journalisten der Frankfurter Rundschau am Samstag gesagt haben. Die Zeitung vermeldete daraufhin, Stuttgart 21 habe den Stresstest bestanden. Bald darauf dementierte das Verkehrsministerium diese Aussage.
Am Wochenende reagierten dann auch Vertreter der Deutschen Bahn. Offiziell ließ sich zwar niemand zitieren, doch mehrere Medien meldeten übereinstimmend, aus dem „Umfeld der Deutschen Bahn“ vernommen zu haben, dass der geplante Tiefbahnhof die im Stresstest eingeforderte Leistungsfähigkeit erbringen könne. Seitdem werfen sich Vertreter des Verkehrsministeriums und der Deutschen Bahn unfaires Spiel vor. Wer glaubte, mit dem Stresstest käme Ruhe in die Debatte um S 21, muss sich eines Besseren belehren lassen: Offenbar gehen die Grabenkämpfe jetzt erst richtig los. Auch die baden-württembergische CDU mischt munter mit und redet schon davon, Hermanns Entlassung zu beantragen.
Es ist noch keine Woche her, da war das Verhältnis zwischen Volker Kefer aufseiten der Bahn und Winfried Hermann aufseiten des Verkehrsministeriums noch nicht vergiftet. Die beiden beharkten sich, aber auf sachlicher Ebene, wie ein der Kontext:Wochenzeitung vorliegender Briefwechsel zeigt. Das Ministerium listete Ende Mai fünf Punkte auf, die im Stresstest berücksichtigt werden sollten: Darin ging es um den Fahrplan, der in die Computersimulation eingespeist werden soll, um die Züge, die während der Spitzenstunde zusätzlich hinzukommen, die Verteilung dieser Züge, und auch wie diese Züge nach ihrem Einsatz in den Wartungsbahnhof überführt werden können.
Notfallkonzept liegt bis heute nicht vor
Volker Kefer, der Technikvorstand der Deutschen Bahn AG, antwortete auf das Schreiben aus dem Verkehrsministerium im Wortlaut: „Auch wenn wir darauf bestehen müssen, dass diese Anforderungen in weiten Teilen nicht Bestandteil des vereinbarten Stresstestes sind, werden wir uns bemühen, wo immer möglich, Ihren Wünschen nachzukommen.“ In einem weiteren Schreiben vom 9. Juni wies Kefer auf das enge Zeitkorsett hin: „Ich stimme Ihnen zu, dass die fünf Kriterien für den neuen Stresstestfahrplan als Leitplanke berücksichtigt werden sollen. Jedoch bitte ich um Verständnis, dass meinen Mitarbeitern nur noch fünf Arbeitstage zum Abschluss der Fahrplankonstruktion, der Durchführung der umfangreichen Betriebssimulation und der Übergabe der Simulationsergebnisse an die SMA zur Verfügung stehen. Um den von Ihnen gewünschten Termin zur Veröffentlichung der Stresstestergebnisse Mitte Juli einhalten zu können, sind umfangreiche Iterationen am Fahrplan nicht mehr möglich.“ (Iterationen sind laut Duden „schrittweise Rechenverfahren zur Annäherung an die exakte Lösung“)
Offensichtlich steht die Bahn bereits in der ersten Juniwoche unter erheblichem Zeitdruck, denn Kefer führt in dem Brief weiter aus: „Dies gilt ebenso für die fristgerechte Vorlage eines funktionierenden Notfallkonzeptes zur geplanten Veröffentlichung Mitte Juli 2011. Auch hier bitte ich um Verständnis, dass wir eine Zusage zur rechtzeitigen Fertigstellung, aufgrund des zusätzlichen Arbeitsvolumens durch die in der Endphase hinzugekommenen Punkte, nicht geben können.“ Dieses Notfallkonzept ist bis heute nicht angefertigt. Eine Abteilung der Deutschen Bahn ist derzeit damit beauftragt, ein früheres Notfallkonzept für S 21 anzupassen. Zugleich hat die Bahn ihre Mitarbeiter angewiesen, dieses hundertfach verteilte frühere Notfallkonzept auf keinen Fall Dritten zugänglich zu machen.
Wie eng der Zeitplan ist, zeigt sich auch daran, dass vor dem 23. Juni noch nicht alle nötigen Unterlagen für die Überprüfung des Stresstests bei dem Schweizer Gutachterunternehmen eingegangen waren. An diesem Tag trafen sich an der Schweizer Vorzeigeuniversität, der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, Bahnexperten aus Deutschland und der Schweiz zu einem Kongress. Das Thema der Veranstaltung war „Stabil mobil“, doch Stuttgart 21 wurde bei diesem Fachkongress mit keinem Wort erwähnt, auch wenn gerade für den geplanten Tiefbahnhof die Frage beantwortet werden soll, ob er stabile Mobilität ermöglicht.
Einer der Redner in Zürich war Werner Stohler, der Interimschef von SMA und Partner AG in Zürich. Sein Unternehmen SMA ist beim Stresstest absolut zentral: Die SMA liefert die Programme, mit denen der Bahnhofsbetrieb simuliert wird. SMA-Gutachter waren dabei, als die Infrastrukturdaten in das Simulationsprogramm eingespeist wurden, also sämtliche Bahnhöfe, Zugstrecken und Gleise in einem Umkreis von zirka hundert Kilometern um Stuttgart herum. Die SMA-Mitarbeiter waren an der Entwicklung des Fahrplans beteiligt, der nun simuliert wird. Und sie werden die Auswertung des Datenmaterials, welche die Deutsche Bahn ihnen liefert, abschließend zertifizieren.
Er hoffe, dass seine Mitarbeiter jetzt alle Unterlagen von der Bahn vorliegen hätten, sagte Stohler in einer Konferenzpause. Der Stresstest nimmt die kleine Aktiengesellschaft mit 55 Mitarbeitern und Hauptsitz in Zürich gewaltig in Beschlag: Allein sieben, acht Mitarbeiter seien nur damit beschäftigt, so Stohler, täglich bis spät am Abend, sogar am Wochenende. Noch in einem Schreiben vom 3. Juni dieses Jahres an das Verkehrsministerium hatte die Bahn darauf hingewiesen, dass die SMA vier Wochen Zeit benötige, um den Stresstestfahrplan zu auditieren und zu testieren. Dass der Zeitdruck bei der SMA so hoch ist, liegt allerdings nicht nur an dem Umfang der Aufgabe, sondern auch daran, dass die Bahn inzwischen diese vertraglich vereinbarten vier Wochen um eine gekürzt hat: Lediglich drei Wochen bleiben der SMA nun für die Zertifizierung der Bahn-Simulation. Über die Gründe für die Verkürzung wollte sich dort niemand äußern. „Das ist nicht für die Öffentlichkeit“, kommentierte ein Sprecher lediglich. Im Verkehrsministerium ist die Verkürzung bekannt. Die Bahn hätte sonst ihre Ergebnisse nicht rechtzeitig präsentieren können, heißt es dort.
Werner Stohler ist sich offenbar bewusst, in welch schwierigem Feld er sich mit seiner SMA bewegt: Einerseits ist sein Unternehmen seit Langem geschäftlich mit der Deutschen Bahn verbunden. Nicht nur, dass es die Software liefert, mit der jetzt der Stresstest gerechnet wird. Auch ein weiteres Programm aus dem Hause SMA, Viriato, ist seit Jahren im Dienst der Bahn. Über diese Software laufen die Bestellungen und Bezahlungen von Zugfahrten. Bahn und SMA stehen also in gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnissen. Wohl auch deshalb ist Werner Stohler, bald nachdem Winfried Hermann im Amt des Verkehrsministers war, nach Stuttgart gereist, um den Grünen-Politiker zu überzeugen, dass die SMA kein Gefälligkeitsgutachten über den Stresstest erstellen werde, sondern sich dem Ergebnis der Schlichtung verpflichtet sehe. Schließlich hat SMA etwas zu verlieren: ihren ausgezeichneten Ruf in Eisenbahnerkreisen.
Alles ist auf den Stresstest fixiert
Die Öffentlichkeit konzentriert sich nun auf den Streit zwischen Winfried Hermann und der Deutschen Bahn und darauf, ob Stuttgart 21 den Stresstest nun bestanden hat oder nicht. Am 14. Juli wird diese Frage spätestens beantwortet sein. Dann will die Deutsche Bahn AG die Ergebnisse der Computersimulation der Öffentlichkeit vorstellen. Am Tag darauf sollen dann die ersten Vergaben für Tunnelarbeiten erfolgen.
Alles ist auf den Stresstest fixiert. Dadurch rücken wesentliche andere Aspekte in den Hintergrund. Noch immer sind viele Fragen offen und vor allem integrale Bestandteile von Stuttgart 21 noch nicht einmal im Planfeststellungsverfahren. Der Bahnexperte Karl-Dieter Bodack weist darauf hin, dass die Bahn seit 2002 mehrfach Pläne für die Bahnanlagen am Flughafen eingereicht habe. Eigentlich habe das Planfeststellungsverfahren „gemäß der DB-Planung Ende 2009 abgeschlossen sein“ sollen. Tatsächlich stehe es aber noch ganz am Anfang, schreibt Bodack.
In einem Schreiben vom 24. Juni an die Bahn hat Winfried Hermann zudem angemahnt, dass das oben beschriebene Notfallkonzept ebenfalls am 14. Juli vorgelegt werden müsse. Andernfalls sei der Stresstest nicht vollständig und die Veranstaltung müsse dann verschoben werden. Er erbitte eine Bestätigung, dass diese Notfallkonzepte mit den übrigen Unterlagen des Stresstests zur Verfügung gestellt würden. In dem Schreiben verlangt Hermann ebenfalls einen verbesserten Brandschutz. S 21 plus, wie das Ergebnis des Schlichtungsverfahrens genannt wird, umfasse auch den Erhalt der Gäubahn und die Verbesserung der Verkehrssicherheit im Bahnhof. Das Land Baden-Württemberg interessiere vor allem, welche zusätzlichen Kosten für das Projekt damit verbunden seien. Eine Antwort darauf ist im Verkehrsministerium bisher nicht eingegangen.