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Archiv-Artikel

Der Humorist und die Malerei

AUSSTELLUNG Mit „La peinture, même“ geht das Centre Pompidou dem künstlerischen Beginn Marcel Duchamps nach

Der Anblick der ästhetisch perfekten Maschine ließ Duchamp tief an der Malerei zweifeln

VON SOPHIE JUNG

Er soll die Malerei getötet haben. Marcel Duchamp gilt als Urvater der Konzeptkunst. Er konnte ein Pissoir nur durch die Idee der Erhebung tatsächlich zu einer Ikone der modernen Kunst erklären. Trotzdem hat er sich in seiner Kunst mit dem Medium der Malerei auseinandergesetzt.

„Zu dem Zeitpunkt, an dem er sein Denken über Kunst entwickelte, war Duchamp Maler“, erklärt Cécile Debray, Kuratorin am Pariser Centre Pompidou. Duchamp und der Genese seiner Malerei hat sie eine Ausstellung gewidmet: „La Peinture, même“, auf Deutsch „Sogar Malerei“.

Duchamps Anfänge in dieser Disziplin sind zunächst ganz klassisch traditionell. Seit 1908 in Paris, zeichnet er im Geist der Boheme Karikaturen. „Ich komme aus einem Humoristen-Milieu“, sagte Duchamp rückblickend. Und so sind auch seine ersten Malereien im Stil des Fauvismus um 1910 mit Humor zu betrachten. Den weiblichen Akt favorisiert er. Die stilisierten Formen und expressionistische Farben sind ein Spiel mit dem eigenen Voyeurismus.

Als er sich der Gruppe der Pariser Kubisten anschließt, ändern sich die Ansprüche, die Duchamp an das Medium der Malerei stellt: Seine Bilder von 1911 und 1912 sollen Zeit, Perspektive, Technik, Menschheit, Nacktheit, alles gleichzeitig in den zwei Dimensionen der Leinwand erfassen.

Intuitiv und unter dem Eindruck der bildlichen Dynamik der Zeit, der Fotofolgen von Eadward Muybridge und den italienischen Futuristen, schuf er 1912 den berühmten „Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2“. Eine abstrakte Mensch-Maschinen-Gestalt, deren vielfache Schritte auf der Treppe in einem Bild eingefangen sind. Von den Pariser Kubisten wurde das Gemälde aus Mangel an analytischer Qualität verschmäht. Auf der New Yorker Armory Show 1913 hingegen ebnete „Nu descendant“ Duchamps seinen späteren Erfolg in den USA.

Es war der Anblick der Maschine auf der Luftfahrtschau im Pariser Herbst 1912, ihre technische und ästhetische Perfektion, die Duchamp tief an der Malerei zweifeln ließ. Während sein Bruder, der Kubist Duchamp-Villon, oder sein Freund, der Bildhauer Constantin Brâncusi, ihre Kunst der Präzision des Industrieobjekts anzugleichen versuchten, bricht Duchamp Ende 1912 mit der Malerei.

In den vier Gemälden, die er kurz zuvor anfertigt, erprobt er ein letztes Mal ihre Möglichkeiten. Wieder ist es die Frau, die er zum Bildmotiv macht. Sie begleitet die Genese seiner Gemälde. „Jungfrau Nr. 1“, „Jungfrau Nr. 2“, „Die Braut“ sind die Titel. Und so bezeichnet die Passage von der unberührten zur vermählten Frauenfigur gleichsam die – in Debrays Worten – „physische, psychische, chemische, geometrische, sexuelle und metaphysische“ Veränderung der Bildkreation. Duchamps „Mariée“, „Die Braut“, ist ein Hybrid aus metallischem Triebwerk und menschlichen Gliedern in vielfacher Bewegung. „Mariée“ ist das letzte Gemälde.

Fortan kommen die Readymades, das „Fahrrad-Rad“ von 1913, der „Flaschentrockner“ von 1914. Trotzdem bleibt das Tableau weiterhin Träger der Duchamp’schen Ideen. Nicht die Kreation eines Bildes beschäftigt ihn, sondern das Festhalten eines Verhältnisses von Gegenstand und Künstler oder Betrachter zum Bild. Die geschwungene Silhouette der Panele von „3 stoppages étalon“ von 1913 zeichnen jeweils die willkürlich gelegte Linie eines ein Meter langen Fadens nach – eine Visualisierung von individuellem Zufall und metrischem Standard zugleich. „Neufs Moules Malic“ von 1914 sind anthropomorphe Figuren aus Blei auf einer Glasplatte, als Schattenbild projizierbar.

„Même“ – der Zusatz im Titel deutet auf ein zentrales Werk der Ausstellung hin. Es befördert bis heute den Mythos um den Künstler: „La Mariée mise à nu par ses célibataires, même“, zu Deutsch „Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar“. Nahezu eine Dekade (1915 bis 1923) arbeitete Duchamp an dieser unvollendeten monumentalen Versuchsanordnung. Zwei Glasplatten, den Bereich des Junggesellen und den der Braut wiedergebend, fügen sich zu einer 2,50 Meter hohen Bildtafel zusammen. Eine eigenwillige Symbolik – die Frau ist eine Maschine, das Begehren der Junggesellen eine Schokoladenreibe – stellt er darauf mit Bleistift und Kalk dar. „Le Grand Verre“, so der kurze Titel des Werks, ist Idee und Darstellung in einem.

Sehr korrekt hat Debray ihre Dramaturgie von den ersten Karikaturen Duchamps bis zu diesem unzugänglichen Werk kuratiert. Jedes Exponat, darunter bedeutende Arbeiten von Cézanne, Brâncusi und Ray, hat seinen erklärenden Platz in der Ausstellung. Dennoch bleibt „Le Grand Verre“ kryptisch. Es ist bis heute ein Faszinosum für die Kunstgeschichte. Paradigmatisch für diesen Künstler, der sich den Kategorien der Kunst und ihren Ismen, sei es Fauvismus, Kubismus, Konzeptionalismus, zeitlebens entzog. Nur einen Ismus gestand er sich ein: „Eroticism was a theme which was the basis of everything I was doing at the time of the ‚Grand Verre‘.“

■ Bis 5. Januar, Centre Pompidou, Paris. Katalog 44,90 Euro