: Pluspunkte für gute Ausländer
Die CDU denkt erstmals über ein Punktesystem für Einwanderer nach. Hier lebenden Migrantenkindern aber wird die Einbürgerung erschwert
AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF
Es war eine Andeutung, eine vorsichtige Überlegung. Aber sie genügte, um die Einwanderungsdebatte neu zu beleben. Experten jubeln: Endlich tut sich was! Schwarz-Rot scheint umzudenken. „Damit hatte ich gar nicht gerechnet“, sagt die FDP-Abgeordnete Sybille Laurischk, die für das Wunder gesorgt hat.
Auf ihre schriftliche Anfrage, ob sich die Regierung ein Punktesystem vorstellen könne, um die Einwanderung zu regeln, antwortete das Innenministerium nicht mehr schroff mit „Nein“, sondern mit einem „Ja, vielleicht“. Seitdem ist das Zauberwort, das die Fantasie der Experten anregt, wieder im Gespräch.
Ein Punktesystem, das ausländische InteressentInnen nach Kriterien wie Ausbildung und Sprachkenntnissen einstuft, befürworten viele gesellschaftliche Gruppen. Es wäre ein Zeichen: Ja, wir wollen mehr Einwanderung. Menschen aus aller Welt könnten leichter kommen – auch wenn sie keinen EU-Pass, keinen Arbeitsplatz und keine Verwandten in Deutschland haben. Ein neues Angebot für Asiaten, Afrikaner und Latinos. Für den Staat hätte das System den Vorteil, dass er die Neueinwanderer zielgerichtet aussuchen könnte: Er vergibt die Punkte – nach Nützlichkeitskriterien. Kommen darf, wer möglichst jung ist und über eine Qualifikation verfügt, die voraussichtlich gebraucht wird.
Selbst Verbände, die sich sonst spinnefeind sind, unterstützen dieses Ziel gemeinsam. Arbeitgeber und Gewerkschaftsbund laden heute zu einer Konferenz in Berlin – eine Art innerdeutscher Globalisierungsgipfel. Es geht um „Fachkräftemangel und Zuwanderung“. Aus aktuellem Anlass: Besonders in der Elektronikbranche und auf dem Bau gebe es Engpässe, meldet die Bundesagentur für Arbeit. Die deutschen Bewerber seien oft nicht entsprechend qualifiziert. So fehlen inzwischen 23.000 Ingenieure, klagt der Berufsverband: „Dies ist ein Innovationshemmnis für den Technikstandort Deutschland.“
Arbeitgeber und DGB werben deshalb für eine Öffnung. Die geltenden Hürden sind hoch. Nicht-EU-Ausländer dürfen nur kommen, wenn sie schon einen Job haben, bei dem sie mindestens 7.000 Euro monatlich verdienen. Selbstständige müssen mindestens eine halbe Million Euro investieren. Um mehr Möglichkeiten auch für Geringverdiener zu schaffen, hat die Zuwanderungskommission unter Rita Süssmuth schon vor sieben Jahren ein Punktesystem vorgeschlagen. Vergeblich. Der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz erinnert sich: „Wir haben das Punktesystem damals schnell beerdigt.“ Weil die Union dagegen war. Weil auch viele Sozialdemokraten Angst vor so viel Neuem hatten.
Jetzt, da selbst CDU-Innenminister Schäuble nicht mehr kategorisch Nein sagt, findet Wiefelspütz: „Darüber wird man wieder reden müssen.“ Er könne sich mit der Idee anfreunden, weil der Staat die Kontrolle behalten würde – auch über die Zahl der Neueinwanderer. „Das könnte man ja variabel gestalten und Quoten festsetzen, je nach Bedarf.“
Die Vorteile für die Migranten? Im Idealfall, von dem Experten träumen, entfallen für die Auserwählten alle bürokratischen Hürden: Sie bekommen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Statt vieler Fragen mürrischer Beamter hören sie nur: Welcome to Germany!
Als leuchtendes Beispiel gelten erfolgreiche Einwanderungsländer wie Neuseeland oder Kanada. Aber genau da liegt das Problem für die Union. Das weiß auch FDP-Frau Laurischk. Neulich hat sie es erlebt. Sie saß sie in einem Bundestagsausschuss, als ein Kollege von der CSU das Wort ergriff. Er wolle mal etwas klarstellen, sagte er: „Deutschland ist kein Einwanderungsland.“ Punkt. Schäuble wird sich schwertun, falls er die innere Blockade in der Union gegen die neue Selbstdefinition Deutschlands aufbrechen möchte. Es ist eine ideologische Barriere.
Eigentlich war es schon immer widersinnig, dass die Union das Punktesystem ablehnte. Schließlich war es Bayerns Günther Beckstein (CSU), der die Parole ausgab: „Wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen, und weniger, die uns ausnützen“. Dazu passt ein Punktesystem eigentlich wunderbar. Es ist ja gerade kein Gutmenschenprojekt, hat mit offenen Grenzen nichts zu tun, sondern ist ein pragmatischer Vorschlag, um auf die demografische Entwicklung zu reagieren – und den Wunsch der Wirtschaft nach Fachkräften zu erfüllen.
Die Linkspartei hält davon nichts: „Die Verwertbarkeit des Menschen für das Kapital ist das Maß“, so die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Sevim Dagdelen. „Das lehnen wir ab.“ Schon jetzt würden Hochqualifizierte bevorzugt, sagt sie und pocht auf das „Menschenrecht auf Freizügigkeit“.
Freizügigkeit? Im Moment liegt selbst das wesentlich vorsichtigere Punktesystem noch in weiter Ferne. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass das in dieser Legislaturperiode noch gelingt“, sagt Wiefelspütz. Auch in seiner Partei seien mächtige Politiker wie Arbeitsminister Franz Müntefering skeptisch.
Erst einmal werden neue Mauern errichtet. Nächste Woche will Schäuble zahlreiche Änderungen beschließen lassen, die der grüne Migrationspolitiker Josef Winkler als „schärfste Verschärfung seit Jahren“ geißelt. Die Einbürgerung von jungen Migranten, die schon hier leben, wird erschwert. Sie bekommen den Pass nur noch, wenn sie über Einkommen verfügen. „Das erschwert die Integration“, so Winkler. Ausländische Ehepartner, die meistens aus der Türkei kommen, müssen künftig Deutsch lernen, bevor sie einreisen dürfen. Diese Vorschrift gilt freilich nicht für alle. Ehepartner aus den USA und Japan dürfen nämlich durchaus kommen, wenn sie noch nicht Deutsch sprechen. Winkler spricht deshalb von einer „Antitürkeiklausel“.
Die Bilanz der großen Koalition dürfte die Experten bald ernüchtern: Über Erleichterungen denkt sie nach. Beschlossen werden neue Hürden.