: Der rassistische Blick
DREI JAHRE NSU-SKANDAL Der Ausländer steht immer unter Generalverdacht, der Deutsche dagegen gilt allenfalls als Einzeltäter
■ geb. 1966, ist Journalist, Sachbuchautor und regelmäßiger Kolumnist der taz. Er lebt und arbeitet (meist) in Wien. Zweimal wurde er mit dem Förderpreis des Bruno-Kreisky-Preises für das politische Buch ausgezeichnet.
Drei Jahre ist es her, seit die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) mit dem Auffliegen und dem mutmaßlichen Selbstmord der beiden männlichen Hauptakteure zu Ende ging – und mit diesem Auffliegen auch das skandalöse Wording im Zusammenhang mit der Terrorserie; die Deutung als „Dönermorde“, der herablassend-hämische Glaube, wenn in Deutschland „Ausländer“ umgebracht werden, dann werden „die Ausländer“ schon irgendwie selbst schuld daran sein. Aber nicht einmal das stimmt ganz: die Realität – dass über zehn Jahre eine gut vernetzte Nazi-Killergang tobte und ein rassistischer Blick daran hinderte, genau das zu sehen – wurde nie vollends akzeptiert; diese brutale Wahrheit wird seit Jahr und Tag geschickt weg- und verdrängt.
Islamophobe Publizisten
Im allgemeinen Bewusstsein ist die NSU-Terrorserie eher als spektakulärer Kriminalfall verbucht, als hätte es sich bei den Tätern um irre Lustmörder gehandelt, die „mit uns“ und dem gesellschaftlichen Klima, in dem sie agierten, nichts zu tun hätten.
Kurzum: Während man jeden von Muslimen angerichteten Terroranschlag (wo immer er auf der Welt geschehen mag) schnell bereit ist, den Muslimen als Gesamtheit umzuhängen, ist jeder deutsche rassistische Täter immer tendenziell der Einzeltäter, und seine Tat, mag sie einen noch so eklatanten terroristischen Hintergrund haben, in Wirklichkeit letztendlich nur seine Tat und damit ja „eigentlich“ fast unpolitisch, mag sie noch so politisch begründet sein.
Face it, so ist die Realität. So ist die Realität, die zunächst dazu geführt hat, das verbindende rassistische Muster der Mordserie zu übersehen, und die bis heute dazu führt, dieselbe als Tat irgendwelcher Aliens vom Mars zu betrachten.
Wie absurd das ist, nimmt man oft gar nicht mehr wahr, weil man so daran gewöhnt ist. Nur gelegentlich springt es einen an, etwa, wenn wieder einer der islamophoben Publizisten aus Blogosphäre oder rechter Kampfpresse den sattsam bekannten Satz zu Papier bringt: „Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber alle Terroristen sind Muslime“ – oder, kaum weniger abstrus: „Alle Terrorakte der letzten Jahre wurden von Muslimen begangen.“
Ja, solche Sätze sind zu lesen und zu hören, und das in einem Land, in dem es bislang glücklicherweise keinen einzigen erfolgreichen islamistischen Terroranschlag gegeben hat, dafür aber eine blutige xenophobe Massenmordserie.
Man wäre versucht, sich zu fragen, was Leute eigentlich denken, die so etwas salopp dahinformulieren, wüsste man die Antwort nicht ohnehin: Sie denken natürlich nichts. „Es denkt“ in ihnen. Und was dabei herauskommt, ist nichts als Mist.
Hooligans gegen Salafisten
Dieses bizarre Vexierbild, das die Realität stets auf schiefe Weise erscheinen lässt, kehrt regelmäßig in den irrsten Erscheinungsformen wieder: Zuletzt etwa bei der Kampagne „Hooligans gegen Salafisten“, wo die Nazischlägertrupps so lange als irgendwie Gute erschienen, die sich jetzt den bösen Islamisten entgegenstellen, bis selbst für Blinde nicht mehr zu übersehen war, welch marodierender Mob unter dem Kürzel „Hogesa“ da gerade die westlichen Werte gegen die bösen Salafisten verteidigt.
Ja, es ist irgendwie absurd: Die tonangebenden Milieus dieser Gesellschaft sind einerseits in grenzenloser Selbstgerechtigkeit überzeugt, diese Gesellschaft sei liberal, tolerant und offen für alle, und gleichzeitig durchdrungen von der instinktiven Gewissheit, dass Leute, die Ali, Hussein oder Aysche heißen, natürlich hier nicht vollends dazugehören (woran sie selbstverständlich selbst schuld sind, ihrer vorausgesetzten Integrationsunfähigkeit wegen). Es ist zwar völlig unlogisch, diese beiden Dinge gleichzeitig zu glauben, aber Logik hat den Alltagsverstand natürlich noch nie am Absurden gehindert.
Mit dem rassistischen Blick korrespondiert der Blick durch die rosarote Brille, den der gesellschaftliche Mainstream auf sich wirft. Dem Generalverdacht, den „der Ausländer“ hier ausgesetzt ist, steht die Generalunschuldsvermutung gegenüber, die „der Inländer“ sich und seinesgleichen gegenüber hegt. Eine Illusion, die sich auch durch die NSU-Mordserie nicht erschüttern ließ.
Und nur, um nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich sind nicht alle Deutschen „irgendwie“ am NSU-Terror mitschuld. Natürlich sind die Killer auch nicht bloße willfährige Ausagierende eines gesellschaftlichen Klimas. Natürlich sind sie in einem gewissen Sinne Einzeltäter – aber, wie Richard von Weizsäcker einmal formulierte, „Einzeltäter kommen hier nicht aus dem Nichts“, und der Umgang mit den Taten kommt schon gar nicht aus dem Nichts.
Wir und die anderen
Gesellschaftliche Großemotionen haben etwas Dialogisches, Reziprokes: Anmaßungen einer Seite werden beim Gegenüber etwas auslösen. Die Anmaßungen der Autochtonen, der Alteingesessenen, werden bei den Migranten, und zwar völlig unabhängig von ihrer sonstigen sozialen Stellung, so ankommen: Wir sind, was immer wir tun, Menschen zweiter Klasse. Opfer unserer Seite werden regelmäßig zu Tätern gemacht. Wir können uns anstrengen, so viel wir wollen, wir werden nie dazugehören. Diese Gesellschaft denkt instinktiv immer noch in Schemata von „Wir und die Anderen“ und wir, die Migranten, sind immerzu und ewig die Anderen.
Um dies als Zurückweisung zu erleben, braucht es gar nicht eklatante Diskriminierung, es reichen die täglichen kleinen, feinen, subtilen Verletzungen. Für all das hat der rassistische Blick durch die rosarote Brille aber keine Sensorien. Er kriegt es einfach nicht mit. Schlimmer: Man kann es ihm noch so oft erklären, er wird es nicht verstehen, weil er das Verständnis abblockt. Es ist buchstäblich etwas, was er nicht wissen will.
So, wie er von den Morden nichts wissen wollte, als sie, im Geheimen und vor unser aller Augen zugleich, geschahen. ROBERT MISIK