: Die den Sturm ernten
Besuchen Sie das Sauerland, solange noch nichts steht. Die waldreiche Region ist durch den Orkan „Kyrill“ gezeichnet, die Bewohner nutzen die Schäden als Touristenattraktion. Bis 2008 soll ein Mahnmal fertiggestellt werden
Das Sauerland ist ohne Auto kaum zu erreichen. ÖPNV-Nutzer sollten sich jedoch die SauerlandCard besorgen. Für den Preis der Kurtaxe von 1 Euro pro Tag und Person können Sie Bus und Bahn im gesamten Kreis nutzen. Die Sturmschäden sind entlang der Wanderwege deutlich sichtbar. Der 150 km lange Rothaarsteig führt vom sauerländischen Brilon ins hessische Dillenburg und bietet neben umgewehten Bäumen auch eine Reihe von Naturwaldzellen (www.rothaarsteig.de). Die „Kyrill“-Führungen organisieren die Ranger des Forstamts Schmallenberg. Kontakt: (01 71) 5 87 16 51. Radfahrer können die Besichtigung der Sturmschäden mit einer Fahrt entlang des Ruhrtalradwegs (www.ruhrtalradweg.de) von der Quelle in Winterberg ruhrabwärts verbinden, das „Kyrill“-Mahnmal am Sorpesee (www.sorpesee.de) liegt zirka 15 km vom Radweg entfernt. Und wenn Sie schon mal dort sind: Seinem Geburtsort Enkhausen hat Heinrich Lübke ein kleines Museum gewidmet. Führungen nach Vereinbarung, Kontakt: (0 29 35) 14 45.
VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE
Schmallenberg wirkt glückselig. Sanft schmiegen sich die kleinen Fachwerkhäuser an die Hügel der Stadt im Süden des Sauerlands. Über die ganze Stadt verteilte Menschenstatuen, typische Sauerländer, laden mit ihrer unaufgeregten untersetzten Gestalt Touristen ein, für ein Erinnerungsfoto zu posieren. Auch sonst gibt es in der 25.000 Einwohner zählenden Gemeinde wenig Grund zur Klage. Die Arbeitslosigkeit liegt unter fünf Prozent, der Haushalt ist seit Jahren ausgeglichen, gut für die lokale CDU, die seit 1949 den Bürgermeister stellt. Selbst den Klimawandel hat die Stadt im Blick: Ein privater Investor plant eine Reihe von Blockheizkraftwerken. Das zum Betrieb nötige Holz gibt es hier in rauen Mengen – 60 Prozent des Stadtgebiets besteht aus Wald.
Beim Orkan „Kyrill“ von einem Jahrhundertereignis zu sprechen, fällt da leicht. „Ich habe einen Waldbauern gesehen, der am Morgen nach dem Sturm fassungslos in seinem Waldstück stand. Zwanzig Hektar hat der Sturm dort vernichtet, seine gesamte Altersversorgung. Das lässt niemanden kalt“, erzählt Adalbert Koch vom Forstamt Schmallenberg. Zehn Prozent der Waldfläche waren vom Sturm betroffen, etwa 1.700 Hektar, für viele der kleineren Waldbauern eine Bedrohung ihrer Existenz. Doch auch in den Hotels hat der Orkan seine Spuren hinterlassen. „Es kam zu Stornierungen“, sagt Koch.
Dabei hat sich sofort nach dem Sturm gezeigt, dass auch umgestürzte Bäume eine Attraktion sind. Touristen aus Städten im Rheinland, dem Ruhrgebiet oder den Niederlanden nutzten ihr Wochenende, um sich die Sturmschäden anzusehen. „Es war ein regelrechter Katastrophentourismus“, so Adalbert Koch, und fügt hinzu: „das ist nicht abwertend gemeint.“ Das Betreten des Walds war lange Zeit verboten, die Aufräumarbeiten werden noch ein Jahr dauern. Erst seit Ende April dürfen die Wanderer wieder die tausend Kilometer Wege begehen – sie waren wegen Unfallgefahr vorübergehend gesperrt.
Doch die Förster wollen das Waldgebiet nicht verloren geben. Die Ranger der Forstverwaltung bieten Führungen für Touristen an und erläutern die Folgen des Sturms für die Region, indem sie Neugierige zu noch nicht aufgeräumten Stellen im Wald führen. Denn wer in diesen Tagen ins Sauerland fährt, wird ohnehin von kahlen Bergkuppen und frei herumstehenden, entlaubten Bäumen begrüßt. Inmitten der Wälder aber sind neue Lichtungen entstanden, gesäumt von abgesplitterten Baumstämmen und aus dem Boden gerissenen Wurzeln, die nun mannshoch in den Himmel ragen. Inmitten der Schmallenberger Verwüstungen steht ein Wegweiser für Wanderer, die darauf ausgeschilderten Wege sind von verdörrten Zweigen und umgefallenen Stämmen verdeckt.
„Dafür haben Sie jetzt eine bessere Aussicht“, meint Koch und lacht. Denn er denkt bereits über eine Nutzung der brachliegenden Flächen für den Tourismus nach. Auf eine Wiederaufforstung könne er verzichten, lieber würde er eine Art Lehrpfad zu den Sturmschäden einrichten. Ein Vorbild könnten die Naturwaldzellen sein. Dort wurde der Wald seit den 70er-Jahren möglichst naturnah belassen, inklusive Pilzbewuchs und einer Heimat für den Borkenkäfer, der wegen des milden Winters besonders zahlreich auftritt.
Auch die Stadt Sundern, eine knappe Autostunde entfernt, nimmt den Borkenkäfer ernst. Im April 2007 legte der Stadtrat fest, ein vom Sturm verwüstetes Waldstück als Mahnmal für „Kyrill“ nicht wieder aufzuforsten. Doch der Käfer hält sich nicht an Beschlüsse, und die Ratsmitglieder sorgten sich, dass die Besitzer der angrenzenden Waldstücke auf Schadenersatz klagen könnten. Ersatz musste her. Gefunden hat man ihn am Ufer des Sorpesees. Ein Verbotsschild an einem Bauzaun zeigt an: Der Uferweg ist gesperrt, nur die Fahrzeuge der Waldarbeiter dürfen passieren. Trotzdem ist der Weg abends bevölkert von Radfahrern, Skatern und Spaziergängern.
„Viele Sauerländer haben immer geglaubt, hier bei uns passieren keine Katastrophen“, erzählt Toni Becker, „doch durch den Sturm ist das nicht mehr so.“ Der gelernte Forstwirt sitzt für die Grünen im Stadtrat und brachte den Antrag für das Mahnmal ein. Er wurde einstimmig angenommen. Nie zuvor hatte in der Heimatstadt Heinrich Lübkes ein grüner Antrag den Rat passiert. Nun ist der Standort gewählt, eine kleine Bucht bietet das gewünschte Panorama der Verwüstung. „Dort wünsche ich mir eine Plattform“, meint Becker und deutet auf einen Punkt inmitten umgestürzter Fichten. „Erst müsste man unter ein paar Bäumen hindurch klettern und könnte sich dann dort über den Zusammenhang von Erderwärmung und Stürmen informieren.“ 2008 soll das Mahnmal fertiggestellt werden und noch mehr Touristen an den Sorpesee locken. Bis dahin müssen Becker und die Stadtverwaltung noch um Sponsoren werben. Auf das Geld eines niederländischen Investors werden sie dabei verzichten. Dieser plant den Bau eines Feriendorfs in der Nachbarschaft des Mahnmals, das hätte dann doch zu sehr nach Korruption ausgesehen. Über den Katastrophentourismus wird er sich trotzdem freuen.