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Archiv-Artikel

KUNST

schaut sich in den Galerien von Berlin um

NOEMI MOLITOR

Wer schon mal in einem Autokino in den USA war, kennt das: man sitzt in Campingstühlen neben den Pick-Up-Trucks auf bröckeligem Asphalt, stochert in Picknick-Salaten, die man im Dunkeln nicht erkennen kann, und versucht zu ignorieren, dass sie den Geschmack der Abgase annehmen. Der Ton kommt immer einen Tick zu leise aus den Lautsprechern und trotzdem fährt man wieder hin. Ryan Trecartins Sound- und Video-basierte Rauminstallation „Site Visit“ im KW Institute for Comtemporary Art fühlt sich genau wie so ein unästhetisches, aber anziehendes Outdoor-Kino an. Statt Autositzen braune Kunstledersessel. Es stinkt nicht nach Abgasen, sondern nach den Ausdünstungen der grünlichen Teppiche, mit denen die Räume bis unter die Decke gepflastert sind. Im vorderen Bereicht zunächst nur Sound: abgehackte Gesprächsfetzten, Möwengekreische, dumpfe Base-Drum-Klänge. Der Ton einen Tick zu laut. Die Filmelemente, auf fünf Leinwände projiziert, zeigen eine Gruppe trashiger Charaktere mit Perlenketten, die in einer leeren Schule umherirren oder im Blondinen-Drag vor Campingzelten sitzen und über Nichtigkeiten fachsimpeln. Abgerockt, arm, aber stolz. Ihre Intonation eine Persiflage auf die Redeweisen reicher Teenager. Zwischen den Leinwänden? Natürlich Campingstühle. Einmal hingepflanzt, gibt’s die volle Dröhnung: Handkamera, schnelle Schnitte und Dialoge über Stuhlgang, die im dröhnenden Soundteppich untergehen. Wem vom Teppichgestank noch nicht schlecht ist, krallt sich spätestens angesichts dieser Überreizung in die Sitze und sagt dem Körper immer wieder: „Du schaffst das!“ Letztlich geht es um die Belastungsgrenze und das Filtervermögen der Sinne angesichts unmöglicher Seh- und Hörerfahrungen (Mi.–Mo. 12–19, Do. 12–21, Auguststr. 69). Die Ursprünge unberechenbarer Szenarien und entrückter Körper in der Sammlung Scharf-Gerstenberg. „Surreale Welten“ zeigt Druckgrafiken und Kupferstiche aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert von Goya bis Max Klinger (Mo.+Mi.–Do. 10–18, Sa.+So. 11–18, Schloßstraße 70). Bei Charles Meryon etwa schweben Krieger auf Seeschlangen und fliegenden Fischen auf Paris herab. Justitia wird zum nebelhaften Vogelwesen. Victor Hugo braucht nur ein paar Tuscheschattierungen, um eine düstere Insel zu evozieren. Auffällig ist, dass es stets Frauenkörper sind, die von den Surrealisten verhackstückt werden, wenn zum Beispiel Hans Bellmer die Stierhoden der Verona von Ephesus als durchstochene Brüste zeichnet. Dagegen wirkt Trecartins kitschiger Perlenketten-Camp geradezu liebevoll.