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Archiv-Artikel

„Es gibt auch Freiwilligkeit“

PROSTITUTION Sexarbeiterinnen protestieren am Michel gegen den Verein „Freedom Mission“

Von SHN
Emilija Mitrovic

■ 61, freie Sozialwissenschaftlerin, koordiniert den „Ratschlag Prostitution“ der Gewerkschaft Ver.di.

taz: Frau Mitrovic, wieso wird Prostitution häufig mit Menschenhandel gleichgesetzt?

Emilija Mitrovic: Die Gleichsetzung der Sexarbeit mit Zwangsprostitution und Menschenhandel ist sehr stark von Alice Schwarzer in die Öffentlichkeit getragen worden. Durch die Medien wurde eine regelrechte Hysterie zu dem Thema ausgelöst. Für den Berufsverband erotischer und sexueller Dienstleistungen sowie für die Gewerkschaft Ver.di ist es schwer, etwas dagegenzusetzen. Im Grunde wird gesagt, es gäbe niemanden, der freiwillig in dem Beruf arbeitet, doch das Gegenteil ist der Fall. Ganz sicher gibt es Fälle von Menschenhandel und körperlicher Ausbeutung. Prostitution zu verbieten, wäre jedoch der falsche Weg. Damit würde man sie nur in ein Dunkelfeld schieben.

Wogegen protestieren Sie heute?

Der Protest des Ver.di Fachbereichs „Ratschlag Prostitution“ richtet sich gegen die Fachkonferenz des Vereins „Mission Freedom“, für den es nur Zwangsprostitution gibt und keine Freiwilligkeit in der Sexarbeit. Er lässt dabei leider völlig außer Acht, dass es Männer und Frauen gibt, die Sexarbeit für sich als Beruf empfinden und dieser Tätigkeit auch freiwillig nachgehen.

Worin genau liegt der Unterschied zwischen Prostitution und Menschenhandel?

Der grundlegende Unterschied ist, dass sich eine Frau dazu entscheidet, mit Sexarbeit ihr Geld zu verdienen und Steuern zu zahlen. Menschenhandel ist eine Handlung von Kriminellen, die Frauen in ein Land locken und sie dann zwingen, als Prostituierte zu arbeiten.

Wer sollte daran etwas ändern?

Die Bundesregierung könnte etwas ändern, in dem sie über die jetzige Gesetzgebung diskutiert. Es müssen faire Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen geschaffen und eine Qualifizierungsberatung in der Sexarbeit ermöglicht werden. Es müssen berufliche Alternativen für diejenigen aufgezeigt werden, die sich umorientieren wollen.

Wie sah Ihre Aufklärungsarbeit bislang aus?

Wir haben einige öffentliche Aktionen gemacht, wie den Kulturstrich St. Georg. Dazu sind über 300 Leute gekommen, um sich Einrichtungen aus der Prostitution anzusehen oder an einer Podiumsdiskussion der Gewerkschaft teilzunehmen. Unsere Zielsetzung ist es, mehr Informationen über die Situation der Sexarbeiterinnen zu verbreiten.

INTERVIEW: SHN

Protestaktion „Sexarbeit ist Arbeit“: 12.30 Uhr, Vorplatz des Michel, Englische Planke 1