: „Nicht so viel Dramatik“
An der Westküste von Sylt strandeten am Wochenende hunderttausende toter Heringe. Der Rostocker Fischereibiologe Cornelius Hammer, der dem Fischsterben von Amts wegen auf den Grund geht, sieht keinen akuten Grund zur Panik
CORNELIUS HAMMER, 54, studierter Fischereibiologe, leitet die Bundesforschungsanstalt für Fischerei und das Institut für Ostseefischerei.
taz: Herr Hammer, warum verendeten die Sylter Heringe massenhaft?Cornelius Hammer: Der Ostwind hat in den letzten Tagen eine große Rotalgen-Population an die Westküste von Sylt gespült und die warme Witterung tat zum Gedeihen der Meerespflanzen ihr Übriges. Während ihrer Blüte scheiden die Algen Giftstoffe aus, die für die Heringe schädlich sind. Die Medien mutmaßen zwar Sauerstoffmangel als Ursache, aber das schließe ich aus. Dafür ist die derzeitige Wassertemperatur noch zu gering.
Gab es ein vergleichbares Heringssterben in den letzten Jahren schon mal?Das weiß ich nicht. Ich würde dem auch nicht so viel Dramatik beimessen. Die angespülten Heringe sind kein Sensationsereignis, lokal kann so etwas mal passieren. Junge Heringe verstecken sich ständig in Küstennähe vor ihren Fressfeinden wie Makrelen und Seeschwalben. Aber dort wartete dieses Wochenende das algenreiche Wasser auf sie …
Die Öffentlichkeit sieht bei solchen Phänomenen schnell einen Zusammenhang mit dem Klimawandel …Das wäre zu kurz gegriffen. Wir beobachten seit fast 30 Jahren eine vermehrte Algenblüte in der Nord- und Ostsee. Aber ein konkreter Zusammenhang mit Umweltfaktoren, die dem Meer seine Nährstoffe entziehen, lässt sich nicht herstellen. Jedoch ist der Gesamtbestand der Heringe seit fünf Jahren extrem schwach – ähnlich wie in den siebziger Jahren, als der Bestand zusammengebrochen war. Die Larven finden momentan nicht mehr das richtige Futter zur richtigen Zeit. In der Natur gibt es ein fein abgestimmtes Timing zwischen den heranwachsenden Heringen und ihrer Nahrungsquelle, dem Plankton. Hier scheint durch den Klimawandel tatsächlich eine Entkopplung der Prozesse stattgefunden zu haben.
Ist die Algenblüte auf Sylt auch gefährlich für die Badegäste?Ich vermute nicht. Möglicherweise setzen die Algen Giftstoffe frei, die ein Mensch über die Haut aufnimmt. In der Regel ist das allerdings nicht der Fall.
Trotzdem werden sich die Urlauber über die Fischkadaver am Strand echauffieren. Wer räumt die wieder weg?Die Möven fressen soviel, bis sie kaum mehr fliegen können. Und die restlichen Fische sammelt dann die Kurverwaltung ein.
Muss man sich jetzt auf inflationsartig steigende Matjespreise vorbereiten?Bestimmt nicht wegen der paar toten Heringe zwischen Westerland und Wenningstedt. Das würde eher an den sinkenden Beständen des ausgewachsenen Herings liegen. Bei den gestrandeten Fischen handelt es sich um die kleinen Jungtiere des letzten Herbstes.
Werden in den nächsten Tagen weitere Heringe auf Sylt stranden?Das hängt nur von den Witterungsbedingungen ab. Und die sind auf Sylt traditionell schwer voraussehbar. INTERVIEW: CHRISTOPH NEETHEN