piwik no script img

Archiv-Artikel

Außer Atem

Mit dem Pädophilie-Drama „Der Kinderfreund“ (20.15 Uhr, ARD) läuft die Psychologen-Serie „Bloch“ zu Höchstform auf – wieder einmal

VON PETER LULEY

Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich handelt es sich bei der seit 2002 bestehenden ARD-Reihe „Bloch“, zu der WDR und SWR in jährlichem Wechsel zwei Ausgaben beisteuern, um formatiertes Fernsehen. Wenn die von Ulrike Krumbiegel verkörperte Lebensgefährtin des Titelhelden zu Beginn der Folge verreist, ahnt man, dass der Film mit ihrer Rückkehr enden wird. Genauso darf man davon ausgehen, dass Dieter Pfaff in der Rolle des schwergewichtigen Psychologen ein-, zweimal demonstrativ außer Atem geraten und von den Geschehnissen persönlich in Mitleidenschaft gezogen werden wird. Und selbstverständlich muss der Plot auch eine Funktion für die erdige Katharina Wackernagel als Blochs Tochter Leonie bereithalten.

Dass es sich trotzdem immer wieder lohnt, sich auf das Muster einzulassen, liegt daran, dass die wechselnden Autoren und Regisseure es immer wieder aufs Neue schaffen, das dramaturgische Korsett mit Inhalten zu füllen, die wenig mit Fernsehkonventionen zu tun haben. Im elften Fall „Der Kinderfreund“ sind es die bereits „Bloch“-bewährten Marco Wiersch (Buch) und Kilian Riedhof (Buch und Regie), denen es gelingt, das populäre Potenzial des massigen Seelenarztes für ein hochklassiges Psycho-Drama zu nutzen.

Es geht um den pädophil veranlagten Lehrer Liebknecht (stark: Fabian Hinrichs), den Bloch zufällig dabei beobachtet, wie er sich einer zwölfjährigen Schülerin allzu zärtlich nähert. Bloch konfrontiert den Pädagogen mit seiner Wahrnehmung und bewegt ihn zu einer präventiven Therapie – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er einen Berufswechsel für unumgänglich hält. Was nun folgt, ist kein spekulativer Kinderschänder-Thriller, sondern eine vorurteilslose, komplexe Charakterstudie, die die Nöte des Patienten ernst nimmt. Die nicht simple Rezepte propagiert, sondern zum Nachdenken anregt – in diesem Fall über eine in der Berliner Charité entwickelte Behandlungsmethode, die darauf setzt, den Gefährdeten die Opfer-Perspektive einnehmen zu lassen.

Wie Bloch Liebknecht dabei hilft, gegen seine Neigung anzugehen, zeigt der Film genauso glaubhaft wie die Versuche des anlehnungsbedürftigen Mädchens, in dem Lehrer die abhandengekommene Vaterfigur wiederzufinden. Plausibel, dass Bloch die Gattin des gebeutelten Mannes hinzuzieht und das einander fremd gewordene Paar dazu provoziert, sich anzuschreien. Erfrischend, wie er dann ihr Brüllen lobt: „Sehr gut, klingt fast schon wie bei mir zu Hause.“ Und brillant, wie die Psycho- auch noch zur Sozialstudie wird, wenn sich ein Elternabend zum Tribunal für den strauchelnden Pädagogen auswächst.

Das mit Action angereicherte Finale, in dem Bloch ein brennendes Haus stürmt, fällt dann wieder unter die Rubrik „fernsehgerechte Zuspitzung“. Aber wer wollte das monieren? Und wogegen eintauschen?

Nein, „Bloch“ bleibt vor dem netten ARD-Vorabend-Anwalt „Der Dicke“ und dem ZDF-Ermittler „Sperling“ das überzeugendste TV-Alter-Ego des Mimen Dieter Pfaff. Als er einmal seinen Patienten beim Wortbruch ertappt – Liebknecht hat sich doch wieder mit dem Mädchen getroffen und ist mit ihm ins Kino gegangen –, pirscht sich Bloch von hinten an die beiden ran und langt mit seiner Pranke in den Popcorn-Becher zwischen ihnen. Ein schönes Bild für den beherzten Umgang der Reihe mit Mainstream-Accessoires – bei konstant gehaltvoller Substanz.