Auf nach Klagenfurt

Gleich acht Berliner Autoren treten dieses Jahr beim Bachmann-Wettbewerb an. Hier sind sie!

VON ANDREAS RESCH

Wenn Juroren von „verbalen Schneefräsen“, „feingesponnenen Sehnsuchtstexten“ oder Geschichten, bei denen „Soll und Haben im ästhetischen Resultat nicht null ergeben“, fantasieren, weiß man: Es ist wieder Klagenfurt-Zeit. Am 27. Juni werden am Wörthersee die „31. Tage der deutschsprachigen Literatur“ eröffnet. Dieses Jahr ist der Wettbewerb besonders Berlin-lastig. Gleich 8 der 18 antretenden Schriftsteller kommen aus der Hauptstadt. Grund genug, an dieser Stelle die 8 von der Spree einmal vorzustellen, unter denen sich mit Jochen Schmidt sogar ein waschechter Berliner befindet. Und das Schönste: Man muss Berlin gar nicht verlassen, um sie zu hören. Wie immer kann man die Lesungen bequem vom heimatlichen Sofa aus verfolgen. Der Sender 3sat überträgt die gesamte Veranstaltung.

Milena Oda

„Schrullig“ ist das Wort, mit dem sich Milena Odas Figuren charakterisieren lassen. Sei es der Schusterjunge in „Ferenc“, der die Pfennigabsätze der Seidenpantoffeletten „ahnungslos wie Bonbons“ lutscht, sei es der „Kakteenjäger“, der in seinem Tagebuch festhält, wie sich die wuchernden Gewächse immer weiter in seiner Wohnung ausbreiten, oder der selbstlose Diener, der zu vereinsamen droht, sollte er je seine Livree ablegen. „Auf Schritt und Tritt“, mit dem die 1975 im tschechischen Jicín geborene Autorin und Übersetzerin 2002 am „open mike“ teilgenommen hat, handelt von einem Professor, der seine Tage und Nächte damit verbringt, die Entfernungen in seiner Wohnung zu durchmessen: „Von der Küche ins Bad 23 Schritte, vom Bad zum Flur 17 Schritte, und von meinem Zimmer bis zu der Treppe 27 Schritte.“ Unklar bleibt, was er damit bezweckt – ebenso wie man manchmal nicht so recht begreift, was Milena Oda in ihren Geschichten sagen möchte.

Lutz Seiler

Lutz Seilers Texte müssen atmen, sie brauchen Zeit, um ihr Potenzial zu entfalten. Der 1963 geborene und somit älteste unter den Berliner Autoren stammt eigentlich aus Gera und veröffentlicht regelmäßig Lyrik- und Aufsatzbände, meist im Suhrkamp Verlag. Die Gedichte des gelernten Zimmermanns und studierten Germanisten sind geprägt von einer gleichermaßen unprätentiösen wie bildgewaltigen Sprache. So wie in „im speckgürtel“: „kummerschlaf, insektenhusten: hier / draussen sind die birken braun. Hier bläst der wind am haus die / asche unterm lappen vor.“

In seinem Essay „Im Kieferngewölbe“ verwebt Lutz Seiler filigran Landschaftsschilderungen mit Zitaten von Autoren wie Peter Huchel oder T.S. Eliot. „Ich war mir sicher, dass in diesem Haus zu viele Stimmen aufkreuzen würden. Zu viele jedenfalls für einen, der selbst vor sich hin, in den Raum spricht beim Schreiben“, heißt es. Lutz Seiler gelingt es, dem Zusammenklingen dieser Stimmen nie zuvor gehörte Akkordfolgen zu entlocken.

Martin Becker

Beim Betrachten des Autorenfotos staunt man ungläubig: Der Mann soll erst 25 Jahre alt sein? Ähnlich verhält es sich mit Martin Beckers Prosa. Wie kann dieser junge Mensch schon so abgeklärt, so stilsicher schreiben? „Pastorale“ etwa kommt in einer derart geschliffenen Diktion daher, dass es einem schwerfällt, sich auf die Handlung zu konzentrieren. Es geht – so viel zumindest ist gewiss – um einen leicht zurückgebliebenen Mann, der den elterlichen Bauernhof verlässt und später nicht mehr finden kann, weshalb er Karten von seiner Umgebung anfertigt. Trotz einer bis an den Rand der Perfektion getriebenen sprachlichen Ausgefeiltheit meldet sich beim Lesen eine Stimme, die sich beharrlich Gehör verschaffen möchte: Was, fragt sie, wenn hinter den glatt polierten Texturen ein Erzähler stünde, der eigentlich gar nicht so viel zu sagen hat? Das ist vermutlich Blödsinn und schon gar nicht beweisbar. Möglich ist es allemal.

Peter Licht

Obwohl er als Musiker bereits einen beachtlichen Bekanntheitsgrad erreicht hat, wissen nur wenige, dass PeterLicht – so sein Pseudonym – auch Texte publiziert. Im vergangenen Jahr hat der Mann, der wie Thomas Pynchon sein Gesicht nicht zeigt, „Wir werden siegen! Buch vom Ende des Kapitalismus“ veröffentlicht, eine Sammlung von Skizzen, Liedern und Gedichten, deren Tonfall eher an Ernst Jandl denn an aufrührerische Revolutionsprosa erinnert. Dabei sind es vor allem die hohlen Phrasen und Alltagsfloskeln, die von PeterLicht immer wieder durch den Fleischwolf gedreht werden und die sich in seinen Texten wie zerkratzte Schallplatten ständig wiederholen: „Ja ok es gibt aber auch Sendungen, die ok sind. Also ich find eigentlich nur Fußball. Eigentlich geht nur Fußball im Fernsehn.“ Sprachkritik in ihrer humorvollen Variante.

Jochen Schmidt

„Als ich eines Tages aufwachte und nur noch grinsen konnte, lag das nicht daran, dass ich irgendetwas komisch fand, sondern daran, dass sich meine linke Gesichtshälfte nicht mehr bewegen ließ.“ Frei nach Kafkas „Verwandlung“ beginnt Jochen Schmidts Roman „Müller haut uns raus“ (2002), die Geschichte eines Mannes, den just im Moment der 98er-WM-Niederlage Deutschlands gegen Kroatien das unheilvolle Schicksal einer halbseitigen Gesichtslähmung ereilt. Dieser tragikomische Erzählton ist charakteristisch für die Storys des 1970 in Friedrichshain geborenen Autors, der 1999 die Lesebühne „Chaussee der Enthusiasten“ mitbegründete. In Geschichten wie „Der blaue Reifen“, in der ein Mann nach einem Theaterbesuch beschließt, sein Leben zu ändern, oder in „Ein seltsamer Schwebezustand“ – der Titel bezieht sich auf den Stil einer gewissen Jule Lehmann, die mit ihrem Debüt „Datsche, demnächst“ den Literaturbetrieb aufmischt – kommt vieles zusammen: Menschenkenntnis, ausgeprägter Sinn für Humor sowie die Fähigkeit, Figuren in wenigen Sätzen Leben einzuhauchen.

Björn Kern

Er setzt weniger auf sprachliche Expressivität als vielmehr auf eine solide gebaute Handlung. Dabei hat sich der 1978 in Lörrach geborene Björn Kern den düsteren Seiten des Lebens verschrieben: Geht es in seinem Debüt „KIPPpunkt“ (2001) um einen Jungen, der seinen Zivildienst in einem französischen Altersheim ableistet und dort von Gewaltfantasien überwältigt wird, so handelt sein zweiter Roman „Einmal noch Marseille“ (2005) vom Abschiednehmen. Ein Erzähler versucht sich dem Sterben seiner Mutter zu entziehen. Doch bald muss er erkennen, dass er sich der Situation stellen muss, will er nicht selbst zugrunde zu gehen. Eine groteske Situationskomik – etwa wenn der Kleinkrieg des Vaters mit der zahlungsunwilligen Krankenversicherung geschildert wird – setzt Kontrapunkte zur melancholischen Grundstimmung.

Jörg Albrecht

Wer im zarten Alter von 26 Jahren mit „Drei Herzen“ (2006) einen Roman veröffentlicht sowie zahlreiche Hörspiele und Theatertexte verfasst hat, wer nebenbei auch noch über „Abbrüche in der Literatur und Hörkunst seit 1960“ promoviert, dem muss Respekt gezollt werden. Bei Jörg Albrecht kommt hinzu, dass seinen Texten ein hochgradig rhythmisierter Stil zu eigen ist, der lässig sämtliche Gattungsgrenzen überschreitet. Leider neigt der junge Mann, der mit seiner schwarzen Brille und dem gescheitelten Haar aussieht wie der Schlagzeuger von Tocotronic vor zehn Jahren, dazu, seine Geschichten mit Stilisierungen regelrecht zu überfrachten. Weshalb man irgendwann vor lauter Parallelismen, Ellipsen und ironiefreiem Produkt-Namedropping überhaupt nicht mehr weiß, worum es eigentlich geht.

Jan Böttcher

Wer seine Band „Herr Nilsson“, seine Frauenfiguren „Lina“ oder „Nane“ nennt und nette Ringelpullis trägt, der erweckt den Eindruck, sympathisch, aber vielleicht auch ein klein wenig langweilig zu sein. Dabei geht es in den Büchern von Jan Böttcher um durchaus Profundes, etwa – wie in „Geld oder Leben“ (2006) – um die Angst. Genauer gesagt um die Angst einer Mutter vor dem Terrorismus. Um sie davon zu befreien, raubt der eigene Sohn die Sparkasse, in der die Frau seit Jahrzehnten arbeitet, kurzerhand aus. In ausufernden Dialogen sowie seitenlangen Beschreibungen, in denen Wörter wie „Oberhammer“ und „astrein“ vorkommen, neigt die Geschichte bisweilen dazu, den Faden zu verlieren. Langweilig ist sie nicht.