: Ums eigene Grab gebracht
In Hamburg werden jährlich rund 700 Menschen als „herrenlose Leichen“ anonym zwangsbestattet. Darunter sind nach Recherchen der Grünen auch Tote, die zu Lebzeiten ihr Begräbnis bezahlt hatten
VON KAIJA KUTTER
Etwa alle zwei Wochen werden auf dem Hamburger Friedhof Öjendorf frühmorgens von einem Pfahlbohrer kleine Löcher für die Urnen von anonym bestatteten Toten gebohrt. „Zwangsbestattung“ nennt man im Amtsdeutsch diesen Vorgang, bei dem „herrenlose Leichen“ beerdigt werden, für die sich kein Angehöriger fand, der die Beerdigung ausrichtet und bezahlt. Jahr für Jahr kommen so rund 700 Menschen in Öjendorf unter die Erde. Für die grüne Sozialpolitikerin Martina Gregersen ein „würdeloses Ende“, das die alten Menschen sehr belaste.
Denn eine Zwangsbestattung droht keineswegs nur Obdachlosen, sondern auch Menschen, die in einem festen sozialen Netz verankert sind und für ihre Beerdigung sogar schon bezahlt haben, aber pflegebedürftig wurden. So erhielt eine alte Dame, die in einem Altenheim des Rauhen Hauses lebt, im November 2006 unangenehme Post vom Ortsamt Billstedt. „Wir haben Ihren Antrag auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten erhalten“, schreibt das Amt. „Bitte teilen Sie uns mit, ob der Bestattungsvorsorgevertrag in Höhe von 3579,04 Euro noch besteht oder bereits gekündigt wurde.“ Und im Januar, zwei Monate später, verlangt das Amt nochmals den Nachweis für die „Auflösung des Vertrages“.
“Ihre Kinder leben in Kanada“, sagt Heimmitarbeiterin Susanne Siems. „Deshalb hat sie ihre Beerdigung schon vor Jahren geregelt.“ Es habe Siems sechs Monate Arbeit gekostet, das Sozialamt davon zu überzeugen, der Frau ihre Begräbnisvorsorge zu lassen. Weniger aussichtsreich sei der Fall einer zweiten Bewohnerin, deren Ehemann zum Pflegefall wurde. Das Sozialamt besteht darauf, dass das Paar seine Sterbeversicherung auflöst. Siems: „Wenn ihr Mann stirbt, ist die Frau nicht in der Lage, ihn zu bestatten.“
Für diesen Fall sieht das Gesetz nicht automatisch die Zwangsbestattung vor. Ein direkter Angehöriger kann eine „Sozialbestattung“ mit Feier beantragen, für die das Sozialamt die Kosten von rund 400 Euro übernimmt, und eine Behindertenwerkstatt die Särge zimmert. Doch hier prüfe die Stadt „teilweise bis zu sechs Monate lang“, ob es nicht doch solvente Verwandte gibt, berichtet Gregersen. „In der Zeit knicken viele Angehörige ein.“ So würden Verstorbene anonym bestattet, obwohl sich Verwandte um eine Beerdigung im Familiengrab bemühten. Der auf dieses Gebiet spezialisierte Anwalt Hans-Joachim Widmann spricht gar von einem „Bestattungszwangtrick“. „Die Ämter rufen an und machen Druck, der Verstorbene muss bis dann und dann beerdigt sein.“ In einem aktuellen Fall sei ein Mann am 5. Juni verstorben, „und schon am 7. droht das Sozialamt mit Zwangsverfügung“.
Seine Mandanten seien zwischen 85 und 95 Jahre alt und wehrlos. Unter ihnen sei eine prominente Dame, die früher ein Orchester leitete. „Nun ist sie 90 geworden und ihr Geld aufgebraucht“, berichtet Widmann. „Da sagt das Sozialamt: Lös den Bestattungsvertrag auf.“ Er allein habe 20 solche Fälle im Jahr, hamburgweit schätzt er „300 bis 400 Fälle“. Verschlimmert habe sich die Lage, weil seit 2005 nicht mehr die Verwaltungsgerichte, sondern die Sozialgerichte zuständig seien. Deshalb müssten die früher berücksichtigten Ansprüche auf eine würdige Beerdigung „neu ausgeklagt werden“.
Ein richtungsweisendes Urteil hat das Landessozialgericht im Herbst bereits gefällt. Damit die Toten schneller würdig beerdigt werden können, soll die Stadt ein „vorläufiges Darlehen“ für eine Sozialbestattung gewähren, bis die Kostenübernahme geklärt ist. „Doch leider wird diese Regel nicht umgesetzt“, klagt Gregersen. Deshalb beantragt sie nun in der Bürgerschaft, dies „als Handlungslinie in die Sozialämter zu kommunizieren“. Ferner fordert sie, dass auch „gute Freunde, Pfleger oder Nachbarn“ das Recht erhalten sollen, eine Sozialbestattung zu beantragen. Und schließlich soll man den Alten ihre Grabvorsorge lassen. „Die Stadt Hamburg“, sagt Gregersen, „sollte sich einer würdigen Beerdigung ihrer Bürger nicht in den Weg stellen.“