: Gegenentwurf zum Kunstlärm
Wenn alle figurativen Bildaussagen unmöglich werden: Museumschef Jan Hoet inszeniert im Herforder MARTa die Stille. Im Mittelpunkt steht Kunst, die an und für sich schweigt. Zum Klingen kommt jetzt, was sich im Inneren des Menschen selbst findet
VON BEATE DEPPING
Biennale in Venedig, documenta in Kassel und die Skulpturen Projekte in Münster. Rundum lärmt es – das MARTa in Herford schweigt. Museumschef Jan Hoet liefert in Ostwestfalen mit einer Ausstellung den Gegenentwurf zum lauten Kunstbetrieb. Die unausgesprochene Verheißung des Titels „MARTa schweigt“ klingt viel versprechend und da ist der Besucher auch schon mitten drin in der Dialektik des Schweigens.
Wie stumm ist der schweigende Betrachter? Wie still das hermetische Kunstwerk? Kann das Schweigen von Marcel Duchamps die letzte Antwort sein? Oder wird eben dieses Schweigen doch „überbewertet“, wie Joseph Beuys feststellt. In der Betrachtung der Werke dieser beiden Künstler, Duchamp und Beuys, die jeder mit mehreren Exponaten vertreten sind, liegt der Keim zum Dialog, der die gesamte Ausstellung durchzieht. Es gibt aber auch Werke, die die Aussage verweigern, wie die zwei Kreise von Richard Long aus abgestorbenen Ästen und Steinen oder Andy Warhols “Electric Chair“. Dazu die monochromen Gemälde von Yves Klein und Gerhard Richter, die leeren Holzobjekte von Donald Judd, oder der mehr oder weniger unbehauene Stein des Ulrich Rückriem: Das Schweigen, die Stille, die Leere weisen über sich hinaus. Was nicht da ist, fordert eben auf, die Lücke zu füllen. „Die Aura unsichtbar anwesenden Schweigens“, nennt das Jan Hoet.
Niemand kommt darum herum, sich in der Ausstellung angesprochen zu fühlen. Nicht weil man hier viele Antworten bekommt, sondern weil man beginnt Fragen zu stellen, die keine endgültigen Antworten bekommen, die aber einen inneren Dialog auslösen. Einen Hinweis gibt schon im Eingangsbereich der Terracotta-Sarkophag aus einem etruskischen Grabmal. Sein Schweigen vermittelt sich unmittelbarer als das der zeitgenössischen Kunstwerke. Hier geht es um das Schweigen einer Kultur, die im Dunkel der Geschichte verschollen ist. Im Obergeschoss erwarten den Besucher auch Vasen und Amphoren, Ringe und Fibeln als Zeugen der Kultur der Etrusker. Ob das anregende Schweigen der Zeitgenossen oder das Verstummen der Vergangenheit – im Grunde ist die Schau „MARTa schweigt“ die Rückbesinnung auf eine verinnerlichte Kunstrezeption, wie sie seit der Aufklärung favorisiert und in den Museen dieser Welt praktiziert wird.
Angesichts zunehmend großer Eventkultur oder Kulturevents scheint es schon ein Wert an sich sein, wenn gezeigt wird, dass im Mittelpunkt eben die Kunst selbst steht. Und so sieht sich der Betrachter auf sich selbst zurückgeworfen, mag das Schweigen beim Einen auch verstummen, beim Anderen kann es sich als beredt erweisen. Viele große Namen sind in der Präsentation der zeitgenössischen Kunst der Stille vertreten. Auf Qualität braucht also nicht zu verzichten, wer sich dem großen Kunstbetrieb dieser Tage für einen Moment entziehen will. Danach mag er sich umso enthusiastischer wieder ins Getümmel stürzen – in Kassel, Venedig, Münster oder wo sonst auch immer die Kunstszene zusammenfindet – und lärmt.
Bis 07. Oktober 2007 Infos: 05221-9944300