: Küstenorte im Goldrausch
An der dalmatischen Küste steigen die Grundstückspreise, und der Tourismus boomt. Schnell hochgezogene Ferienwohnungen statt eines touristischen Konzepts verschandeln die bei Deutschen beliebte Adriaregion. Doch die Touristen kommen sowieso
Wer mit dem Auto losfährt und nicht an einem Ort verweilen will, findet in jedem Ort ein Tourismusbüro, das Unterkünfte vermittelt. Über den ADAC und andere Automobilclubs gibt es Informationen über Campingplätze. Viele Reisebüros vermitteln Rundreisen mit den typischen Holzbooten und anderen Schiffen von Insel zu Insel in der Adria. Alle Inseln sind außerdem mit Linienschiffen (Hafen in Split für die dalmatischen Inseln) zu erreichen. Währung: Kuna 1 Euro entspricht 7,30 Kuna
VON ERICH RATHFELDER
Ante ist stolz. Denn er ist rechtzeitig zur Saison mit dem Neubau seines Hauses direkt am Strand des Dorfes Slatine auf der Insel Čiovo in Dalmatien fertig geworden. Sein Blick gleitet über die Fassade des dreistöckigen Gebäudes, über die Balkone mit ihren „84 Zentimeter Breite“, wie er sagt, „die Mindestnorm“. Und er weist auf die Parkplätze auf dem betonierten Gelände vor und hinter dem Haus. „Die Touristen können kommen“, sagt Ante.
Schnell hochgezogene Häuser erstrecken sich an der vor wenigen Jahren noch unberührten Küste. Dort wo Olivenbäume sich den Platz mit den Feigen teilten, wo im Frühling blühende Wiesen ihren Duft verströmten, wo Zitronenbäume sich hinter aufgeschichteten Steinmauern versteckten, herrscht nun der Beton. Die Pflanzen und die Welt der Schmetterlinge, Bienen und Vögel sind vom Küstenstreifen abgedrängt. Ante hat einige Kübel unter der grellen Sonne aufgestellt, in der sich einige vertrocknete Palmensetzlinge verlieren. „Neue Erde und Wasser, und die sprießen wie wild“, weiß er. Doch die Natur interessiert ihn nicht. Er will dieses Jahr am Tourismus verdienen. „Achtmal 50–60 Euro pro Appartement pro Nacht, das drei Monate lang, da kommt schon was zusammen“, lacht er.
Viele Häuser an den Küsten Dalmatiens sind in den letzten Jahren auf diese Weise hochgezogen worden. Die meisten wurden auf Grundstücke gestellt, die den Familien von alters her gehören, doch um ausgewiesenes Bauland handelt es sich dabei nicht. „Die ganze Küstenlinie hier auf der Insel ist schwarz bebaut“, sagt Ivo. Auch dem ehemaligen Matrosen gehört eines der Häuser hier. „Wir Kroaten haben endlich unseren eigenen Staat, jetzt können wir mit unserem Land machen, was wir wollen.“
Predrag Lucić lacht über diese eigenwillige und vom persönlichen Interesse diktierte Interpretation der staatlichen Unabhängigkeit Kroatiens. Der Chefredakteur der in Split erscheinenden satirischen Wochenzeitung Feral Tribune hat dieses Verhalten seiner Landsleute schon oft satirisch aufs Korn genommen. Und natürlich bedauert er den Wildwuchs an den Küsten. „Wir machen die gleichen Fehler wie die Spanier, wir zersiedeln das Land und sind dabei, unsere herrliche Küste zu zerstören.“ Es gebe zwar staatliche Behörden und immer wieder Ankündigungen, die illegal gebauten Häuser wie in anderen Regionen Kroatiens niederzureißen, doch bisher geschehe in Dalmatien nichts. Das hat seinen Grund: „Die Dörfler sind die Basis der Wählerschaft der rechten und konservativen Parteien“, sagt Predrag.
Trotz der Proteste der Bevölkerung von Split wurde sogar die Riva, die berühmte Flaniermeile am alten Hafen, die direkt vor den Mauern des 1.704 Jahre alten Diokletianspalastes gelegen ist, vor wenigen Wochen mit neuen Betonplatten belegt. „Auch die Stadtverwaltung gibt ein schlechtes Beispiel“, sagt Predrag und weist auf die blau schimmernde Adria, auf das steile und zerklüftete Küstengebirge, auf die von der Spitze der Insel Čiovo gut erkennbaren Nachbarinseln Brač, Hvar, Korčula, Vis und Šolta. In Brač seien die Steine für das Weiße Haus in Washington und den Berliner Reichstag gebrochen worden. Aus dem weißen Stein der Region wurden die Häuser in den Städten und Dörfern Dalmatiens in der Vergangenheit erbaut.
Wie eine Perlenkette reihen sich die steinernen, von der Unesco ausgezeichneten Städte Zadar, Sibenik, Primošten, Trogir, Split und Dubrovnik entlang der Küste. In den alten Dorfkernen verschachteln sich die Steinhäuser und bieten mit den in allen Ecken sprießenden Blumen, den Kakteen, den Mandarinen- und Orangenbäumen und den vor der Sonne geschützten Terrassen eine einmalige Mittelmeer-Atmosphäre. „Das Erbe der Vergangenheit ist das wichtigste Kapital für unsere Zukunft“, sagt Predrag. Doch der touristische Wildwuchs boomt.
Seit die Autobahn von Zagreb nach Split eröffnet wurde, verbringen nicht nur viele Deutsche, Österreicher und Italiener die Ferien hier, sondern immer mehr Ungarn, Polen, Tschechen, Slowaken und auch Russen. Der Andrang des Touristenstroms bringt weitere Bewegung in die Dörfer. Denn die Preise für die Grundstücke steigen rapide. Gerade werden in dem 1.000 Einwohner zählenden Dorf Slatine der alte Dorfkern und der Hafen umgestaltet. Viele vor einem Jahrzehnt noch durch die Landflucht verfallene Steinhäuser sind schon renoviert, mit Backsteinziegeln werden Stockwerke aufgesetzt, die letzten Quadratmeter des alten Dorfkerns ausgenützt. Die Preise für Grundstücke und alte Häuser explodieren. Ruinen, die noch vor wenigen Jahren für 10.000 bis 20.000 Euro zu haben waren, kosten jetzt schon 50.000 bis 100.000 Euro, renovierte Steinhäuser sind entsprechend teuer. Ivo, den Seemann, freut es. „Mein 80-Quadratmeter-Haus, vor fünf Jahren für nur 10.000 Euro erbaut, ist mit den 400 Quadratmeter Garten jetzt 150.000 Euro wert. Mindestens.“
Der Goldrausch hat die Menschen Dalmatiens erfasst. Zwar haben im Dorf neue Restaurants und Cafés eröffnet, sogar die Strandpromenade wurde hergerichtet. Für den Bau von Fahrradwegen, für das Instandsetzen der alten Eselspfade, die schon jetzt viele zum Joggen und Wandern nutzen, fehlt jedoch ein durchdachter Plan.