: Gute Laune trotz Mini-Etat
Die Leichtathleten des TV Wattenscheid sind nationale Spitze. Auch der Rückzug des Mäzens vor einigen Jahren konnte daran nichts ändern. Die Chancen bei der WM im August sind allerdings gering
Sponsoren wenden sich zusehends von der Leichtathletik ab, die Fernsehsender gehen nur noch bei Großereignissen live auf Sendung. Die Sportler sind auf Jobs oder Förderungen angewiesen. Der TV Wattenscheid hat den Rückzug des Mäzens Klaus Steilmann mittlerweile gut überstanden. Bei der Weltmeisterschaft in Osaka (25. August bis 2. September) werden acht bis zehn Wattenscheider Leichtathleten an den Start gehen. Auch die Leverkusener Leichtathletik muss sich umstellen. Mäzen Bayer will sich aus dem Spitzensport zurückziehen. Die derzeit erfolgreichste Leichtathletikabteilung Deutschlands muss ab 2009 die Finanzierung auf eine breitere Basis stellen. Geschäftsführer Paul-Heinz Wellmann (siehe Interview) glaubt dennoch an die Zukunft.
AUS WATTENSCHEID HOLGER PAULER
Erfolge sind in Wattenscheid selten geworden. Auch im Sport: Der ehemalige Fußballbundesligist Wattenscheid 09 konnte unter der Woche zwar den Konkurs vorerstabwenden, doch der Abstieg der ersten Mannschaft in die fünftklassige Verbandsliga lässt kaum Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu. Der Aufstieg der Fußballfrauen in die Bundesliga ging im Katzenjammer unter.
Für gute Laune sorgen derzeit vor allem die Leichtathletinnen und Leichtathleten des TV Wattenscheid 01: Etliche deutsche Meistertitel, dazu immer mal wieder Medaillen bei den Großereignissen. Der Bochumer Stadtteilclub gehört zu den erfolgreichsten seiner Branche. Zumindest national.
Hinter dem Bundesliga erprobten Lohrheidestadion verstecken sich mehrere quaderförmige Betonklötze im funktionalen 70er Jahre-Stil. Die Gebäude sind miteinander verbunden. Die unterschiedlichen Formen lassen verschiedene Bauabschnitte vermuten. In den Häusern des Olympiastützpunktes Wattenscheid, die der TV Wattenscheid seit vielen Jahrzehnten nutzt, ist unter anderem ein Sportinternat untergebracht.
„Die Bedingungen sind für den Westen der Republik einmalig“, sagt Sportwart Michael Huke. Schüler und Senioren können die integrierten Trainingshallen Rund um die Uhr nutzen. Mittags öffnet die Mensa, im Sommer wird auch mal gerne der Grill angeschmissen: die einst erfolgreichen Rhythmischen Sportathletinnen haben sich hier ihren Feinschliff ebenso geholt wie zum Beispiel der Jungprofi des VfL Bochum, Dennis Grote. Krafträume, Wurfringe, Sprungmatten – sogar eine 100-Meter-Tartanbahn befindet sich unter den Dächern – wenige Schritte vom Lohrheidestadion entfernt.
Dort, wo früher vor allem die Fußballer um Punkte grätschten, fühlen sich die Leichtathleten besonders wohl. Das 20.000 Zuschauer fassende Stadion wurde zu den Deutschen Meisterschaften 2002 modernisiert. Die Tribünen wurden erweitert, Stufen zubetoniert, die Tartanbahn wurde auf die für Meisterschaften notwendigen acht Bahnen mit Auslaufzone ausgebaut. Der Lohn: Alle drei Jahre finden hier die nationalen Titelkämpfe statt; am 12. August richtet der Deutsche Leichtathletik Verband (DLV) hier erstmals sein großes Sportfest – die ehemals im Dortmunder Stadion Rote Erde beheimatete DLV-Gala – aus. Für die heimischen Athleten ein besonderer Anreiz: Wettkämpfe im eigenen Wohnzimmer.
Der Vorführeffekt fällt jedoch dem aprilhaften Juniregen zum Opfer. 800 Meter-Läuferin Monika Gradzki soll sich eine Woche vor dem Europacup in München nicht verletzen. Der erste Vergleich mit den kontinentalen Konkurrentinnen beschäftigt die letztjährige Deutsche Meisterin auf der kürzesten Mittelstrecke hörbar. „Psst“, fleht sie darum, das Thema nicht weiter zu vertiefen.
Die Wattenscheider haben sich in den vergangenen Jahren vor allem auf die Wurf- und Laufdisziplinen konzentriert. „Alles andere würde den Etat sprengen“, sagt Michael Huke. Zu den genauen Zahlen möchte er nichts sagen. Bayer Leverkusen als nationaler Krösus hat einen Jahresetat von etwa 1,8 Millionen Euro. Der Chemiekonzern tritt im Jahr 2009 als Mäzen ab. Die knapp zwei Millionen waren ihm zu viel.
„Unser Etat liegt deutlich darunter“, sagt Huke. Nach dem Ausstieg des Mäzens Klaus Steilmann vor fünf Jahren mussten sich auch die Wattenscheider Leichtathleten nach anderen Möglichkeiten umschauen. Anders als ihre Fußballerkollegen haben sie es geschafft. Die Stadtwerke Bochum, der DLV und der Essener RAG-Konzern unterstützen den TVW seit dem Steilmann-Ausstieg.
Dass mit bescheidenen Summen trotzdem Erfolge zu feiern sind, bewiesen die Europameisterschaften im vergangenen Jahr. 10.000 Meter Läufer Jan Fitschen holte überraschend die Goldmedaille. Ein Erfolg, der nicht beliebig wiederholbar ist. Vor allem dann nicht, wenn die Konkurrenz aus Afrika, Asien und Amerika hinzu kommt. Momentan tut sich Fitschen sogar schwer, die WM-Norm zu knacken – über 5.000 Meter fehlten zuletzt 30 Sekunden. Die Folge mehrerer kleiner Verletzungen. Außerdem hat Fitschen zugunsten seines Studiums den Trainingsumfang reduziert. Beim Europacup am kommenden Wochenende wird ein anderer Läufer die DLV-Farben vertreten.
In München dabei sein wird dagegen Monika Gradzki. Die WM-Norm hat die 27-Jährige noch nicht erfüllt. Eine Zeit von exakt zwei Minuten ist dafür nötig. „Vielleicht schaffe ich es auch unter zwei Minuten“, sagt sie. Ihre Bestleistung liegt bei zwei Minuten 16 Hundertstel. In der Weltrangliste wäre das derzeit ein Platz jenseits der Top 20. Für das Finale bei der WM in Osaka würde es wohl kaum reichen.
Gradzki finanziert ihren Sport derzeit vor allem durch die Sportförderung der Bundeswehr. Ein paar Tausend Euro pro Monat. „Leben vom Sport können nur die internationalen Spitzenathleten“, sagt sie. Gradzki gehört, wie die meisten KollegInnen, nicht dazu. Diskuswerfer Möllenbeck musste sich vor zwei Jahren sogar bei der Arbeitsagentur melden, da sein Bürojob beim Modemacher Steilmann wegrationalsiert wurde. Wenige Wochen zuvor hatte Möllenbeck noch die Bronzemedaille bei der WM geholt. Die Prämie hierfür lag im niedrigen vierstelligen Bereich. Michael Ballack muss dafür nur morgens aufstehen.
„Wir müssen versuchen mit unseren geringen Mitteln das Beste zu erreichen“, sagt Lauftrainer Tono Kirschbaum. Der EM-Titel von Jan Fitschen vor einem Jahr war sein persönlicher Höhepunkt. Acht bis zehn Athleten haben seiner Meinung nach die Möglichkeit, sich für Osaka zu qualifizieren. Fix sind derzeit lediglich der mehrmalige Medaillengewinner im Diskuswurf, Michael Möllenbeck, 400 Meter-Läufer Bastian Swillims und Mitglieder der traditionell starken Wattenscheider Sprintstaffeln. Alles andere sei offen. Sichere Medaillenbänke gibt es keine.
Am fehlenden Nachwuchs liege das nicht, sagt Kirschbaum. „Erfolge wie der von Jan Fitschen oder Veranstaltungen vor Ort haben eher dafür gesorgt, dass die Jugendlichen sich für den Sport interessieren.“ Allerdings blieben die wenigsten dabei. In der Pubertät werden andere Dinge wichtiger, außerdem seien die Grundvoraussetzungen immer schlechter: „Viele Kinder und Jugendliche sind einfach zu dick.“ Nicht jeder Jugendliche könne ein späterer Meister werden, sagt Kirschbaum.
Die wenigen Talente zu finden, ist schwer. „Wir arbeiten viel mit kleinen Vereinen zusammen, allerdings sind wir da auch auf das Goodwill der Trainer angewiesen“, sagt Michael Huke. Viele Trainer wollten nicht, dass ihre Talente zu den großen Vereinen wechseln; irgendwann sei es dann aber zu spät und die Talente gingen verloren. „Die finanziellen Mittel, ein eigenes Scouting-System aufzubauen haben wir nicht.“ Es bleibt eine Sisiphus-Arbeit. Und ab und zu gibt es Ausreißer nach oben. Überraschungen, Sensationen. „Wichtig ist aber, dass nicht gleich alles in Frage gestellt wird, wenn es sportlich mal nicht so läuft“, sagt Monika Gradzki und spricht aus eigener Erfahrung. Erfolge sind eben nicht planbar. Erkläre das mal einer den Sponsoren.