: WIR:HIER
Kapitel 3
Seit dem Streit in der letzten Woche gingen die Mitglieder von Goldstück einem Gespräch über den Wettbewerb aus dem Weg. Sie sprachen über alles Mögliche miteinander, außer über das, was sie wirklich beschäftigte. Der nächste Probentermin rückte viel zu schnell näher. In der großen Pause am Mittwoch hielt Cem es nicht mehr aus und brach das Schweigen.
„So geht das nicht! Wir müssen jetzt klären, ob es Goldstück überhaupt noch gibt. Wenn Laura und Matteo sich unbedingt streiten wollen, lösen wir die Band eben auf. Ist mir dann auch egal!“
Cem war richtig sauer. Sein übliches Grinsen war verschwunden, und er stand ganz ruhig vor ihnen, nicht wie sonst, wenn er wie ein Boxer hin und her tänzelte.
„Also, was ist? Lassen wir die Probe morgen ausfallen und quatschen stattdessen?“ Die anderen nickten. „Nach der neunten im Volkspark.“ – „Alles klar, bis dann.“
Am nächsten Nachmittag saßen sie auf ihren Jacken im Gras und waren immer noch ratlos. Laura fasste sich ein Herz und fing an zu reden.
„Matteo ist nicht der Einzige, dem es schlecht geht, das wollte ich nur mal klarstellen. Ich fühl mich auch voll mies. Eigentlich wollte ich Goldstück nur voranbringen und jetzt … Machen wir halt nicht mit, wenn Matteo darauf besteht.“
„Ich bestehe doch nicht darauf, aber genau darum geht’s: Für dich ist Goldstück ein Projekt, das du optimieren willst, und für mich nicht“, erwiderte Matteo. Auch er war schon die ganze Woche fertig. War es wirklich nötig, so einen Zirkus zu veranstalten? Er hätte einfach den Mund halten können, als er sah, wie die anderen sich freuten. Aber er kam immer wieder zum gleichen Schluss: Es ging nicht. Er fand die Idee unmöglich, und dass die anderen keinen Gedanken daran verschwendeten, was wirklich hinter einer Senatskampagne steckte, ging ihm gewaltig auf die Nerven. „Wir müssen mindestens darüber diskutieren können, oder? Auch wenn ich eine andere Meinung habe als du. Aber wenn nicht sofort alle auf deine Vorschläge anspringen, bist du eingeschnappt.“ Matteo schluckte das „Prinzesschen“, das ihm auf der Zunge lag, herunter. Er sprach schnell weiter. „Ich find’s total blöde, und ihr springt in die Luft, nur weil man euch mit Kohle vor der Nase rumwedelt. Das ist übel kommerziell. Und eine reine Konkurrenzveranstaltung, die spielen die Bands gegeneinander aus, und das ist genau wie alles, was mich in der Schule ankotzt. Alles wird benotet, und wer nicht mitkommt, hat Pech gehabt. Ich will einfach nur geile Musik spielen. DAS macht mir gute Laune, und ein Wettbewerb löst das Gegenteil aus. Ich komm davon richtig, richtig schlecht drauf. Versteht ihr das nicht?“
Laura nickte, genauso wie Szusza. „Klar verstehen wir das. Aber es ist trotzdem eine Superchance für uns.“
„Seh ich anders. Habt ihr euch mal die Homepage für den Wettbewerb angeguckt? Nee, keiner. Ich aber. Das ist voll peinlich, mit gefakten Fotos von Jugendlichen, die H&M-Glitzerklamotten tragen und von der Bühne ins Publikum springen. Und darüber eine Sprechblase: ‚Yolo! Wir wollen nicht nur chillen, wir wollen was bewegen!‘ Ekelhaft. Der Senat will zeigen, wie super er sich für Jugendliche einsetzt. Die stehen dann glänzend da und klopfen sich gegenseitig auf die Schulter. Und am nächsten Tag beschließen sie ganz lässig, ach was weiß ich? Dass die Klassen noch größer werden. Und wir? Was haben wir davon?“
„Zum Beispiel einen Plattenvertrag! Nur im Keller spielen, dafür finde ich uns zu gut.“
Cem pflichtete Laura bei. „Mann, Alter, wir sind schon ausgewählt, das ist ein Zeichen.“
„Ja toll, und? Als Nächstes bewerben wir uns dann bei DSDS.“
„Das ist was völlig anders. Bei DSDS machen nur Penner und Freaks mit.“
Szusza rollte mit den Augen. „Das ganze Gequatsche bringt nichts. Es müssen alle ein gutes Gefühl haben, und das bekommen wir nicht mit Reden hin. Zeit für eine Zusammenfassung.“
Cem kicherte. „Deutsch-Leistungskurs: Szusza, schreiben Sie uns bitte eine Zusammenfassung der eben vorgetragenen Szene.“
„Schnauze halten und zuhören. Erstens: Matteo hat keinen Bock auf den Wettbewerb, ist aber trotzdem nicht völlig dagegen. Richtig?“
Matteo nickte.
„Zweitens: Laura will mitmachen, beugt sich zur Not jedoch ebenfalls der Mehrheit?“ Szusza zog fragend die Brauen hoch, bis Laura zustimmte. „Drittens: Cem und ich verstehen beide Positionen, tendieren aber zu Laura. Ich würd ja vorschlagen, ihr fightet das aus. Wäre ne klare Sache. Aber da ihr Muschis seid, muss wohl einer nachgeben.“
Matteo widersprach: „Es geht doch nicht um Nachgeben.“
Szusza sprang auf. „Ich weiß, was ihr macht. Einen Contest. Wer gewinnt, darf bestimmen, und der Verlierer fügt sich.“ Cem nickte zustimmend.
„Ein Contest? Wie bescheuert ist das denn?“, sagte Laura.
„Prinzesschen, du hast uns in diese Lage gebracht. Also mal schön den Ball flachhalten. Matteo denkt sich was Cooles aus, aber was richtig Cooles, und du musst es machen. Dann kannst du zeigen, wie wichtig dir der Wettbewerb ist. Und wenn du bestehst, hat Matteo verloren. Wenn du allerdings kneifst …“ Szusza ließ den Satz in der Luft hängen und sah Laura herausfordernd grinsend an.
„Ja, ist schon gut, ich bin dabei. Ist trotzdem Kindergarten.“
Jetzt lagen alle Blicke auf Matteo. „Ich finde es komplett idiotisch, aber wenn ihr alle dafür seid …“
„Ich wusste, dass wir das hinkriegen.“ Cem zog eine Flasche Cola aus seinem Rucksack. Er streckte seine Hand hoch, alle anderen klatschten ab. „Auf uns! Auf Goldstück!“
Sarah Schmidt, publizierte bereits diverse Bücher und ist in zahlreichen Anthologien vertreten. Ihr aktueller Roman: „Eine Tonne für Frau Scholz“ ist im Verbrecher Verlag erschienen und in der Hotlist der 10 besten Bücher aus unabhängigen Verlagen 2014. Für die taz schreibt sie den Fortsetzungsroman WIR:HIER www.sarah-schmidt.de