Die Transparenzmaschine

NETZDEMOKRATIE (2) Das Internet erzieht nicht zur Faulheit, im Gegenteil. Es schult in der differenzierten Kommunikation

■ wurde im Jahr 2009 als Initiatorin einer Onlinepetition gegen Internetsperren bekannt. Die studierte Medienwissenschaftlerin arbeitet als Product Managerin bei einem Telekommunikationsunternehmen.

Wer wie Samuel Salzborn (taz v. 12. 7.) behauptet, politische Partizipation im Internet bestünde hauptsächlich darin, eine Stimme per Klick abzugeben und damit der Demokratie zu schaden, macht es sich sehr einfach.

Zum einen geht es bei den meisten digitalen Unterschriftensammlungen um weitaus mehr als einen Klick. BenutzerInnen müssen ihre persönlichen Daten preisgeben, um sich ein Konto einzurichten, und stehen dann oft für alle sichtbar mit ihrem (Real-)Namen hinter einer politischen Forderung. Dagegen ist die analoge Unterschriftensammlung schnell, unkompliziert und nicht öffentlich.

Like-Button ist nebensächlich

In der Tat schwierig ist, dass es inzwischen unterschiedliche Möglichkeiten gibt, online für ein und dasselbe Thema abzustimmen. Wenn man seine Stimme bei Facebook oder auch Campact abgibt, kann man nicht davon ausgehen, dass sie irgendeine Relevanz in der parlamentarischen Diskussion haben wird. Daher ist es durchaus kontraproduktiv, wenn Campact über zweihunderttausend Unterschriften sammelt, die bei einer Onlinepetition an den Deutschen Bundestag eher Auswirkungen auf die parlamentarische Politik gehabt hätten. Sie sind nicht mehr als ein symbolischer Akt ohne Wirkung. Menschen, die dort ihre Stimme hinterlassen haben, werden nur in den seltensten Fällen bereit sein, für dieselbe Sache noch einmal online zu unterschreiben.

Aber seit wann ist digitale politische Partizipation in erster Linie das Unterschreiben von Petitionen? Das, was das Netz zu dem Werkzeug der außerparlamentarischen Opposition macht, ist mit Sicherheit nicht der Like-Button. Es sind Vorgänge wie die folgenden: Mark Schmitt in Buxtehude liest bei Twitter eine Nachricht von Rita Lehmann auf der Schwäbischen Alb und stellt fest, dass er gar nicht der Einzige ist, der sich für ein bestimmtes Thema einsetzt. Sie tauschen in Blogposts Argumente für ihre Position aus, erzählen, wie sie dazu gekommen sind. Sie werden mit Kommentaren von Menschen konfrontiert, die absolut dagegen sind. In der Auseinandersetzung mit diesen „Gegnern“ lernen sie, ihre Argumente zu schärfen und zu erweitern. Sie üben sich darin, den politischen Gegner von ihrer Position zu überzeugen, seine Argumente zu entkräften, und finden über ihre öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema immer mehr Leute, die so denken wie sie. Sie beginnen sich zu organisieren, legen Mailinglisten an und Dokumente, die sie gemeinsam bearbeiten können, sie gestalten Kampagnen-Websites. Ihre Arbeit wird zunehmend differenzierter.

Darin liegt die Stärke des Netzes als Werkzeug politischer Partizipation: Es lassen sich leicht Beziehungen zu Gleichgesinnten knüpfen, es ist eine Debattenplattform, die – unabhängig von den Medien – jedem und jeder mit einem Internetzugang offensteht.

Die Transparenzmaschine

Die oft in Onlinekontexten vorhandene Frustration über das politische Geschehen in Deutschland kommt nicht davon, dass mal ein(e) PolitikerIn nicht schnell genug auf Twitter antwortet oder dass eine Frage auf Abgeordnetenwatch mit einer Standardantwort abgespeist wird. Nein, frustrierend wird es, wenn Argumente ignoriert werden von PolitikerInnen in Parlamenten oder Funktionären in Ministerien. Onlineaktivisten tragen die Ergebnisse der Debatten, die im Netz geführt werden, dorthin. Dabei erleben sie, wie Entscheidungen trotz besseren Wissens getroffen werden. Hier entsteht Frustration!

Das Netz ist eine Transparenzmaschine. Die abgeschottete parlamentarische Demokratie wird durchsichtig, wo BürgerInnen bei öffentlichen Ausschusssitzungen präsent sind, das Geschehen kommentieren und im Netz sichtbar machen. Der Druck auf PolitikerInnen wächst damit. Sie müssen erklären, warum sie Entscheidungen treffen, die sie selbst für falsch hielten. Oft genug wollen oder können sie es nicht – hier entsteht Frustration!

Durch die Analyse der im Netz befindlichen Informationen wird offenbar, dass einige PolitikerInnen einen Großteil ihrer Zeit mit bezahlten Vorträgen und Veranstaltungen der Wirtschaft verbringen. Sie können sich nicht mehr hinter ihren Doktortiteln verstecken, auch hier funktioniert das Internet besser als jeder Untersuchungsausschuss. Die Menschen fühlen sich von den gewählten Volksvertreten belogen und hintergangen – hier entsteht Frustration!

Zum Beispiel Tunesien

Das Netz erlaubt einen Informationsfluss, der abgeschottete Parlamentarier immer mehr unter Druck setzt

Der versierte Umgang mit den digitalen Werkzeugen ist eine „Priveligiertenveranstaltung“. Der versierte Umgang mit digitalen Werkzeugen braucht Wissen, Zeit und eine technische Infrastruktur – man muss es sich leisten können. Die, für deren Rechte in der parlamentarischen Demokratie kaum einer kämpft, haben es auch im Digitalen schwerer. Wir haben die Verantwortung, sie in unsere Netzwerke hineinzuholen, unsere Knoten bewusst so zu knüpfen, dass die, deren Stimmen leise sind, nicht auch hier durch die Maschen fallen.

Wie machtvoll das Netz als politisches Werkzeug sein kann, hat auch die tunesische Revolution bewiesen. Wie die inzwischen berühmt gewordene Bloggerin Line Ben Mhenni in ihrem gerade erschienenen Buch „Vernetzt Euch!“ beschreibt, waren es die Onlineaktivisten, die das sichbar gemacht haben, was von allen Medien totgeschwiegen wurde. Trotz massiver staatlicher Zensur haben sie gezeigt, was auf den Straßen und Plätzen passierte: die Willkür der Polizei, die Lügen des Präsidenten Ben Ali, aber auch den wachsenden Mut der Bevölkerung und die Entschlossenheit, dies nicht länger hinzunehmen. Sie haben für viele Menschen sichtbar gemacht, was nur wenige Jahre zuvor beim Kampf der BergbauarbeiterInnen in Gafsa fast im Verborgenen geschah und so zu seinem Scheitern führte.

Das Unterdrückte, das Verborgene sichbar machen, das ist das Potenzial digitaler Werkzeuge. Nicht aus dem Glauben heraus, dass PolitikerInnen grundsätzlich gegen BürgerInnen, für wirtschaftliche Lobbyverbände und in die eigene Tasche arbeiten, sollten wir für die Freiheit im digitalen Raum kämpfen. Sondern weil wir damit selbst unsere Ideale und Visionen von einer besseren Gesellschaft für alle verwirklichen können. FRANZISKA HEINE