ZWISCHEN DEN RILLEN
: Eine Seilschaft aus dem Süden

„Delta Swamp Rock – Sounds From The South: At The Crossroads Of Rock, Country And Soul“ (Soul Jazz/Indigo)

Was Johnny Cash hier zu suchen hat, ist ein Rätsel

Wurde ja auch mal Zeit, dass sich die internationale Gemeinschaft der Rare-Groove-Digger dem bislang noch kaum abgegrasten Territorium der Hippie-Musik zuwendet. Das Vorurteil, hier nur auf ungroovige Dauergniedeleien zu treffen, scheinen massiv gewesen zu sein. Nun sind Jahrzehnte ins Land gegangen, und neue Generationen von Musikern und Hörern herangewachsen. Wer etwas auf sich hält, trägt mittlerweile ohnehin Matte und Vollbart.

Für „Delta Swamp Rock“ nähern sich die Connaisseure von Soul Jazz dem kritischen Sektor über den Southern Rock an. Natürlich gehören die klassischen Alben der Allman Brothers Band, von Barefoot Jerry und Lynyrd Skynyrd zum Kernkanon der Hippiekultur. Aber die gleichzeitige Anwesenheit von Johnny Cash, Waylon Jennings und Bobbie Gentry zeigt schon, dass es dieser Compilation um etwas anderes geht: Hier wird eine historisch nicht ganz korrekte Seilschaft von weißen Musik-Outlaws im Süden der USA in den frühen siebziger Jahren behauptet.

Ins Zentrum dieser Bewegung stellt Compiler und Booklet-Autor Stuart Baker die Fame Studios im 10.000-Seelen-Nest Muscle Shoals in Alabama. Die Studios und die dort tätigen Musiker sind vor allem berühmt für eine ganze Schar klassischer Soulalben, die dort ab Mitte der sechziger Jahre Künstler wie Aretha Franklin oder Clarence Carter aufnahmen. Doch auch ein Großteil der auf „Delta Swamp Rock“ versammelten Aufnahmen entstand dort, und Bindeglied zwischen der Soul- und Country- und Blues-Rock-Szene ist der Gitarrist Duane Allman, der ab 1968 zum Stamm der Studiomusiker in den Fame Studios gehörte.

Neben der Studioarbeit fand er noch Zeit, sein eigenes Projekt, die Allman Brothers Band, aufzubauen, und nach einem legendären Live-Doppelalbum gehörte die Gruppe 1971 zu den meist gepriesenen Rockbands des Planeten. Allmans Ruhm wurde noch gemehrt, als ihn Eric Clapton zu den Sessions für sein „Layla“-Album einlud. Tragischerweise kam er im Oktober 1971 bei einem Motorradunfall ums Leben.

Die Saat für den Southern-Rock-Boom war jedoch nun gelegt und im Kielwasser der Allman Brothers brachten es weitere Bands mit ähnlichem Konzept – mehrere Lead-Gitarristen, heavy und funky Beats, gerne von mehreren Schlagzeugern gespielt, ausgedehntes Jamming –, wie Lynyrd Skynyrd, die Marshall Tucker Band oder die Charlie Daniels Band, zu einer gewissen Berühmtheit. Hier wird es jedoch teilweise uncool und klugerweise blendet sich „Delta Swamp Rock“ vorher aus.

Stattdessen gibt es noch einige erlesene Songs der Country-Pop-Sängerin Bobbie Gentry, Blue-Eyed-Soul von höchst unterschiedlichern Performern mit höchst unterschiedlichem Background wie Dan Penn, Leon Russell und Boz Scaggs und weitere irgendwie südstaatenhaft anmutende Aufnahmen, teilweise auch aus Nashville, was dem ganzen Konzept dann langsam eine gewisse Beliebigkeit gibt.

Was Johnny Cash hier zu suchen hat, ist ein komplettes Rätsel. Anders als sein Kumpel Waylon Jennings befand er sich in jenen Jahren auf dem Höhepunkt seines Erfolgs und gehörte zum Nashville-Establishment. Jennings hingegen, der sich in der Country-Hochburg nie so recht durchsetzen konnte, bezog wie sein Kollege Willie Nelson in der Tat Inspiration aus dem Erfolg und den musikalischen Ideen der Southern Rocker, ließ sich die Haare wachsen und mit großem Erfolg nun als „Nashville Outlaw“ vermarkten. Das ist aber dann eigentlich ein anderes Thema. Diese leichten historischen Ungenauigkeiten sollten einem jedoch nicht den Spaß an der Musik, an all den Neu- und Wiederentdeckungen nehmen, die „Delta Swamp Rock“ möglich macht.

Darüber hinaus beweist Stuart Baker, dass er die Kunst der Compilation beherrscht, und erzielt mit beiden CDs einen hohen Durchhörbarkeitsfaktor. Als nächstes wäre nun aber eine ebenso liebevoll editierte Zusammenstellung von funky Singer-Songwritern fällig.

DETLEF DIEDERICHSEN