: Die Kunst der Selbstauflösung
Die Hamburger Kunsthochschule ist die erste im Norden, bei der ein Gebührenboykott zustande kommt. 291 von 567 StudentInnen haben auf ein Boykottkonto überwiesen. Jetzt droht ihnen die Exmatrikulation – und der Schule das Ende
An der Leibniz-Universität Hannover ist die Zahl der Studierenden im Vergleich zum Vorjahr um 1.700 oder 7,7 Prozent gesunken. Die Zahl der Beurlaubungen ist um 75 Prozent auf 1.900 gestiegen. Während der Uni-Asta auf die Studiengebühren hinweist und von einer „Flucht in die Beurlaubung“ spricht, argumentiert die Hochschule mit sinkender Studienbereitschaft und den neuen Bachelor- und Master-Studiengängen, durch die weniger Studienplätze zur Verfügung stünden. Nur wenige hätten sich durch die Gebühren abschrecken lassen. Zurzeit gibt es an der Uni Hannover rund 20.500 Immatrikulierte. Die Zahlen aus anderen Unis im Land liegen erst Ende des Monats vor. Ab dem Wintersemester 2006/2007 mussten in Niedersachsen zunächst die Erstsemester, seit diesem Sommersemester dann alle Studierenden Gebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester zahlen. Boykottversuche hatten zwischen Harz und Nordsee keinen Erfolg. KSC
VON KAIJA KUTTER
Damit hatte keiner mehr gerechnet. Standort für Standort wurden die Hürden der Studiengebührenboykottkampagnen in Niedersachen und Hamburg verfehlt. Doch eine hat es geschafft. An der Hochschule für bildende Künste (HFBK) in Hamburg zahlten 291 von 567 zahlungspflichtigen Studierenden auf ein Boykottkonto ein. Auf einer Vollversammlung vorige Woche stellten die Studierenden ihren Präsidenten Martin Köttering zur Rede und wollten wissen, wie er nun verfährt. So in die Ecke gedrängt, erklärte er, er sehe keine andere Möglichkeit, als sie nach Ablauf einer 14-tägigen Mahnfrist zu exmatrikulieren.
Die jungen Kunststudenten sind von dem Hochschulchef enttäuscht, hatte er sich doch kritisch über die 500 Euro Gebühr geäußert. „Wir hatten gehofft, dass sich der Präsident auf unsere Seite stellt“, sagt Maja*. „Es wäre möglich gewesen zu sagen, wir nehmen an dieser Hochschule keine Gebühr“, sagt Kommilitone Andreas*, zwei von vier Studierenden, die mit der taz sprachen und nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen wollen, weil sie „Nachteile fürchten“. Die Kommunikation zum Präsidenten ist jetzt erst mal abgebrochen. Als ein Zeichen des Protestes beschloss die Vollversammlung, auf die diesjährige Jahresausstellung, die am 4. Juli beginnen sollte, zu verzichten.
Köttering selber möchte der Presse derzeit zu dem Thema kein Interview geben. „Wir werden erst mal abwarten, wie die Zahlen sind“, sagt seine Referentin Andrea Klier. Mitte der Woche werde eine Mahnung mit 14-tägiger Frist an die Säumigen verschickt. Erst danach werde Köttering sich äußern.
Sollte er tatsächlich fast 300 Studierende exmatrikulieren, „verliert er seien Job“, sagt Andreas. Die viel zu klein gewordene Hochschule würde dann wohlmöglich an die Fachhochschule angegliedert, wurde auch jüngst im HFBK-Hochschulsenat spekuliert. Die Anspannung ist groß.
Eine Gebühr zu zahlen, widerspreche den Charakter eines freien Kunststudiums, davon sind die vier überzeugt. „Ein Kunststudium erfordert Risikobereitschaft. Es ist wichtig, an die Grenzen zu kommen“, sagt Andreas. „Wenn ich aber für die Studiengebühr arbeiten muss, führt das zu einer Marktorientierung vom ersten Semester an.“ „Das wird Angsthasen produzieren“, sagt Manuel*. Er befürchtet noch höhere Gebühren wie an der benachbarten halbstaatlichen Hamburg Media School (HMS), die mit der HFBK kooperieren soll. Manuel: „Da kostet das Studium 25.000 Euro“. Als sie dort Einladungen zur Vollversammlung aufhängen wollten, sei ihnen das nicht gestattet worden.
Der Groll der Studierenden richtet sich aber nicht nur gegen die Gebühr, sondern auch gegen das ab Herbst 2008 geplante Bachelor-Master-System, das die Studienleistung in Kreditpunkten abfordert und „nur auf Kontrolle basiert“, wie Frank* berichtet. „In der Kunst geht es darum, Persönlichkeit und eigene Kritikfähigkeit auszubilden“, sagt Andreas. Unter dem geplanten Gebühren- und Punktedruck „kann man Kunst nicht studieren“.
Die Studierenden sind enttäuscht, dass Köttering das Bachelor-Modell als erster Deutscher Kunsthochschulchef einführen wird, obwohl die Kultusministerkonferenz den Freien Künsten hier Ausnahmen erlaubt. Doch in Hamburg, erklärt seine Referentin Andrea Klier, seien die Hochschulen vom Senat „hochschulübergreifend verpflichtet, das einzuführen“.
Das neue Modell, das noch nicht die Akkreditierung durchlaufen habe, bringe zwar eine „stärkere Verbindlichkeit“ mit sich, orientiere sich aber von der Studienleistungen her „stark an dem, was bisher an der HFBK gefordert wurde“. So gebe es beispielsweise für ein Einzelgespräch über eine Arbeit mit einem Professor schon 15 der 30 für ein Semester erforderlichen Kreditpunkte. Auch soll das künftige Bachelorstudium in der Kunst vier statt wie üblicherweise drei Jahre dauern. Für das daran anschließende zweijährige Masterstudium allerdings soll nach Vorgaben des Wissenschaftssenators Jörg Dräger (parteilos) nur jeder Zweite zugelassen werden.
Diese Spaltung stößt den Studierenden sauer auf. Schon bei der Gebühr durfte nun jeder Professor zwei Begabte heraussuchen, die er davon befreit. „Hamburg muss sich überlegen, ob es wirklich noch ein freies Kunststudium will“, sagt Andreas. Wenn es jetzt wirklich zu einem Rauswurf der 291 käme, würden die bleiben, die angepasst sind, und die weggehen, „die die Hochschule am meisten schätzen“. Es wäre ein Vorgang, sagt Frank, „den die Kunstszene der Stadt nicht widerspruchslos hinnehmen sollte“.
Für die Boykottkampagne, die an sechs Hochschulen versucht wurde, gab es einen Unterstützerkreis, unter anderem stand GEW-Chef Klaus Bullan Pate. Dieser sagt nun, er hätte Verständnis, wenn die HFBK-Studierenden sagen, dass sie es nicht alleine durchziehen. Die Betroffenen müssten dies aber selbst entscheiden. „Natürlich werden wir sie dann unterstützen.“
*Namen geändert