Der jüdische Monsieur Citroën

Das jüdische Museum widmet dem legendären Automobilbauer und seiner Familie eine biografische Ausstellung. Die Idee dahinter: mal ein ganz neues Publikum an einen Ort jüdischen Lebens zu locken

Scharen motorisierter Pilger werden in den nächsten drei Monaten nach Rendsburg aufbrechen, die meisten hinter dem Steuer eines Citroën sitzend. Sie werden durch die Straßen der kleinen Stadt irren und Passanten fragen: Wo, bitte, geht es zum Jüdischen Museum? Sie werden kommen, um dem „Ur-Vater“ ihres Automobils zu huldigen: André Citroën (1878 – 1935). Diesem hat das Museum eine Ausstellung gewidmet.

Warum einen französischen Autobauer ins Land Schleswig-Holstein holen – dazu noch in ein Haus der jüdischen Kunst und Geschichte? „Eines Tages blätterte ich in einem biografischen Lexikon unserer Bibliothek“, sagt Direktorin Frauke Dettmer, „da stieß ich auf den Namen Citroën.“ André Citroën war Jude, ein überaus erfolgreicher Unternehmer, legendärer Pionier des europäischen Automobilbaus, und besaß dazu noch eine spannende, glamouröse, schicksalhafte und weitgehend unbekannte Familiengeschichte. „Sofort dachte ich: Das ist eine tolle Idee, um einmal ein ganz anderes Publikum in das Jüdische Museum zu locken“, sagt Dettmer. Es ist nicht nur Wunschdenken: Mit dieser Personalie dürfte der Museumsdirektorin das gelingen. Die Begeisterung für Autos kennt keine Grenzen, auch keine kulturellen. Und im Internet-Forum des deutschen Citroën-Automobilclubs verabreden sich die Fans schon für Gruppenfahrten aus dem ganzen Bundesgebiet.

Denn Kultstatus genießen viele Modelle aus dem Hause Citroën. Roland Barthes widmete der legendären DS, der „Göttin“ – vom französischen Déesse – in seinen Mythen des Alltags gar einen Essay: „Die Déesse hat alle Wesenszüge eines jener Objekte, die aus einer anderen Welt herabgestiegen sind …“, schrieb der Semiotiker über den eleganten Straßenfrosch, der seit Mitte der Fünfziger auch von deutschen Straßen nicht wegzudenken war.

Zu dieser Zeit war André Citroën längst tot. Der erfinderische Sohn niederländischer Diamantenhändler hinterließ sein Unternehmen 1935 nahe dem Bankrott. Alle Mühen und alles Geld hatte er in den Krisenjahren der 30er in die Entwicklung des „Traction Avant“ gesteckt, eines „Vorderantrieb“-Wagens. Dieser avancierte zum spektakulären Erfolgsmodell. Seine überlegene Straßenhaftung machte ihn zur Standardlimousine für Gangster.

In Rendsburg sind sein erstes Modell, der „Typ A“ von 1919, zu sehen, sowie die 2 CV, die Ente, zudem Familiendokumente: Der Prager Golem-Erschaffer und Mystiker Rabbi Löw war Urahn von Citroëns Frau. Ihr Bruder die rechte Hand des Résistance-Dirigenten Jean Moulin. Seine Tochter überlebte mit dem Davidstern auf der Brust die Besetzung von Paris. MART-JAN KNOCHE

24. Juni bis 30. September im Jüdischen Museum Rendsburg