: Stimmungsaufhellende Gesundheitsliteratur
URBAN-PROSA Leichte Lektüre tut uns allen ja mal gut: Der Schriftsteller Kristof Magnusson schreibt eine Berliner Version von „Emergency Room“. Als Roman natürlich, und mit nur einem Handlungsstrang
Einen Roman „Arztroman“ zu nennen zeugt von einer Begabung zum ironischen Humor und von einem gesunden Selbstbewusstsein des Autors, der damit zeigt, dass er absolut keine Angst haben muss, in irgendwelche Genrefallen zu tappen – auch wenn dieser „Arztroman“ durchaus leichte Lektüre ist. Aber: Leichte Lektüre tut uns allen mal gut und ist, vor allem wenn sie so klug gemacht ist, bestimmt auch sehr gesund.
Die Intelligenz, die hier am Werk war, hat vieles gemeinsam mit den komplex menschelnden Drehbüchern von beispielsweise „Emergency Room“. Nur dass dies hier eben ein Roman ist und keine TV-Serie. Innerhalb von „ER“ wäre Kristof Magnussons „Arztroman“ nur einer von zahlreichen parallel geführten Dauerhandlungssträngen, aber gleichzeitig hätte man diesen einen Handlungsstrang, der hier auf 300 Seiten einmal schön rund läuft, im Fernsehen über eine komplette Staffel gestreckt. Roman und Serie gemeinsam ist allerdings das Episodenhafte. Das liegt schon in der Natur des Berufs der Hauptperson. Denn Anita Cornelius, Magnussons Heldin, ist Notfallmedizinerin und arbeitet im vermutlich bekanntesten „Emergency Room“ der deutschen Literatur, in der Rettungsstelle des Kreuzberger Urban-Krankenhauses (Szenen von Sven Regeners „Herr Lehmann“ spielen dort, und zudem arbeitete am Urban seinerzeit Alfred Döblin).
Die Frau hat’s drauf
Mit einem Einsatz, der auch für „ER“ eher sensationell gewesen wäre, beginnt der Roman. Anita muss, kurz nachdem der dauerdefekte Snackautomat in der Notaufnahme ihr wieder einmal die Ausgabe des schon bezahlten Marsriegels verweigert hat, mit leerem Magen zu einem schwierigen Einsatz. Ein junger Mann hat ein teures Auto an einem der Pfeiler der Hochbahn geschrottet und ist auch selbst sehr übel mitgenommen. Es ist eine spannende Szene, in der Anita sowohl Tatkraft und Empathie beweist als auch überlegene Reaktionsfähigkeit und die Fähigkeit, in schwieriger Lage die richtige medizinische Entscheidung zu treffen.
Die Frau hat’s drauf. Doch obwohl im Beruf fokussiert, tendiert die Ärztin im Privatleben zum Dauerchaos. Seit einem Jahr getrennt von ihrem Exmann und Kollegen Adrian lebt Anita die meiste Zeit allein in einer immer noch ungemütlichen Wohnung, da der gemeinsame Sohn seinen Lebensmittelpunkt beim Vater und dessen neuer Frau hat. Obwohl die Trennung zur beiderseitigen Zufriedenheit geschah, will Anita nicht wahrhaben, dass die Welt sich permanent ändert. Dass ihr Sohn erwachsen wird, dass die Frau ihres Exmanns besser für ihn ist, als sie selbst es war, dass sie selbst aber auch ihr Leben ändern könnte. Zwar lernt sie einen netten Typen kennen, der sogar ein Boot hat, begreift aber nur langsam, dass aus der zufälligen Bettgeschichte mehr werden könnte.
Während Anita von Einsatz zu Einsatz lebt, hier einen kettenrauchenden Rentner aus seiner stinkenden Gartenlaube zu retten versucht, dort eine Hipster-Hypochonderin wieder zur Vernunft bringt und zwischendurch auch wirklich noch ein paar Leben rettet, droht nicht nur ihre Familie ihr zu entgleiten. Auch um die Langmut des wirklich netten Typen muss man ernsthaft fürchten, der immerhin zusehen muss, wie Anita sich in Zickengefechten mit der neuen Frau ihres Ex verausgabt.
Am Ende hat die Welt sich aber doch weitergedreht und sich dabei ein Stückchen verändert, und Anita vielleicht sogar mit ihr. Wer weiß das schon so genau? Dieser Arztroman jedenfalls endet so ähnlich wie wahrscheinlich alle Arztromane, nämlich gut. Aber ähnlich wie am Ende einer Serienstaffel ist auch dieses Ende wohl als vorläufig zu betrachten. Oder man könnte auch sagen: ähnlich wie im wirklichen Leben. KATHARINA GRANZIN
■ Kristof Magnusson: „Arztroman“. Kunstmann Verlag, München 2014. 320 Seiten, 19,95 Euro