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Archiv-Artikel

Flügge Küken

Jugend der Welt

Mailanfrage bei den taz-KorrespondentInnen: Gibt es in eurem Berichtsgebiet ein der Jugendweihe vergleichbares Ritual? Hier ihre Antworten:

Georg Blume, Peking: Meine chinesische Mitarbeiterin meint, das Erwachsenwerden werde in China nicht gefeiert – man warte hier bis zur Hochzeit!

Klaus-Helge Donath, Moskau: In Russland ist dieses Ritual unbekannt.

Michael Braun, Rom: Im katholischen Italien ist da tote Hose. Selbst die früher mal starken Kommunisten hatten hier nie Veranstaltungen wie die Jugendweihe im Programm.

Dorothea Hahn, Paris: Muss leider passen. Mir fällt kein Ritual ein.

Ralf Sotscheck, Dublin: Irland ist in dieser Hinsicht nach wie vor katholisch. Es gibt Kommunion und Firmung, bei der sich gerade die ärmeren Familien tief verschulden.

Adrienne Woltersdorf, Washington: Hier heißt so was commencement ball, also Anfängerball. Vor allem im Bible Belt nimmt das inzwischen recht seltsame Züge an. Dort hat sich in den letzten Jahren etabliert, dass die Debütantinnen dabei ein Keuschheitsgelübde ablegen, mit Keuschheitsringen an den Fingern und Ketten und so. Merkwürdigerweise legen sie dieses Gelübde ihrem Vater gegenüber ab. Sie geloben, so lange Jungfrau zu bleiben, bis sie verheiratet sind – während der Daddy umgekehrt der Tochter verspricht, dass er Mutti immer treu bleiben wird …

Bundesbürgern West gilt die Jugendweihe als Nostalgie-Show für Postsozialisten. Dabei hat die Feier geradezu widerständige Wurzeln

Ein Bild aus Ostdeutschland dieser Tage: Ein ungelenkes Kind geht die Straße entlang. Ist es ein Mädchen, dann trägt es Damenkleid und Hochsteckfrisur. Ist es ein Junge, kleiden ihn ein Anzug in Vorratsgröße und viel Gel im Haar. Dahinter, in lockerer Formation: die Familie. Sie streben dem örtlichen Kulturhaus zu oder dem kleinstädtischen Kinosaal. Drinnen soll sich gleich Eigenartiges zutragen: die Jugendweihe.

Das nichtkirchliche Ritual für den Übergang vom Kindsein ins Erwachsenenleben gibt es schon seit 155 Jahren. Damals war es ein Angebot für Freireligiöse, ihre Kinder statt konfirmieren oder firmen lieber weihen zu lassen – jugendweihen eben. Im 20. Jahrhundert wurde das Ritual von der Arbeiterbewegung übernommen; Sozialdemokraten, Lebensreformer und Kommunisten ließen ihre Kinder weihen. Die Nazis verboten die ganze Sache.

Trotz dieser langen und durchaus widerständigen Geschichte gilt die Jugendweihe heute als überkommenes Relikt der DDR-Zeit, als Zeitvertreib für Gottlose und Postsozialisten. Westsozialisierten ist die Veranstaltung ein Rätsel. Hat das alles, fragen die, eigentlich mehr Sinn als etwa die Aufnahme in den Schützenverein? Tatsächlich lässt die Qualität der Feiern mitunter zu wünschen übrig – vor allem im ländlichen Bereich sind Familien oft dem persönlichen Geschmack der Organisatoren ausgeliefert. Da kann es passieren, dass nach einem Potpourri von DDR-Schlagern der örtliche Alleinunterhalter Poesiealbumsprüche vorliest, statt eine Rede zu halten.

Gleichwohl ist der Trend zur Tradition ungebrochen. Seit 1990 hat der Verein Jugendweihe e. V. – einer der beiden großen Anbieter neben dem Humanistischen Verband – 1,25 Millionen Schülerinnen und Schüler versorgt. Woran liegt es, dass Eltern ihren Kindern eine fette Party spendieren? Dass Großeltern ordentliche Geldgeschenke rüberwachsen lassen? Und dass von ihrer bloßen körperlichen Existenz gepeinigte Pubertierende in Stadt und Land bereit sind, sich für diesen einen Tag mal wie ein unterernährter Erwachsener zu kostümieren und brav Bitte und Danke zu sagen – wiewohl sie sonst am liebsten überhaupt nicht mehr mit ihrer Umwelt kommunizieren würden?

Ganz einfach, hier wirkt der Zauber des Rituals. Und der ist im Grunde gar nicht für die 14-Jährigen gedacht – die kriegen ihre Geschenke. Nein, der Vorgang wärmt die Herzen von Müttern und Vätern. Die ein- bis zweistündige Feierstunde mit Reden, Kulturprogramm und Urkunden markiert: 14 Jahre sind um, dieses Kind haben wir doch ganz gut hingekriegt. Hoffen wir, dass in den kommenden vier Jahren bis zur Volljährigkeit alles glattgeht: kein tödlicher Baum am Straßenrand, kein Drogenexzess, der die zarten Synapsen schrotet, halbwegs zufriedenstellender erster Sex und okaye Leistungen in der Schule. Das Kind macht dieser Tage zwar nicht den Eindruck, als könne es davon auch nur die Hälfte bewerkstelligen, aber – wir müssen ihm vertrauen. Und das zeigen wir ihm. Das Kind kriegt eine Jugendweihefeier mit allem Drum und Dran. Aber nicht so eine wie früher in der DDR, klar.

Längst haben die ostdeutschen Landesverbände ihr Angebot dieser Nachfrage angepasst. Denn in 40 Jahren DDR-Jugendweihezeiten war das an sich aufklärerische Ritual der Jugendweihe ganz schön runtergekommen. Mussten vor 100 Jahren noch adoleszente Kinder – die damals mit 14 die Schule abschlossen – den Nachweis der Konfessionslosigkeit erbringen, um sich der Feier würdig zu erweisen, drängten DDR-Schulen selbst christlichen Jugendlichen die Paketlösung aus Konfirmation/Firmung und Jugendweihe auf. Organisiert wurde alles vom staatlichen Jugendweihekomitee. War es so weit, ließ man flachbrüstige Mädchen und picklige Jungs geloben, ihren „Weg zum persönlichen Glück immer mit dem Kampf für das Glück des Volkes zu vereinen“. Unangenehm.

Aber ganz so peinigend kann die Erinnerung heutiger DDR-sozialisierter Eltern dann doch nicht sein. Denn allein im vergangenen Jahr hat Jugendweihe e. V. 33.890 Mädchen und Jungen zu Erwachsenen erklärt. In Westdeutschland werden alljährlich nur einige hundert Jugendliche „geweiht“. Die meisten von ihnen stammen aus Familien, die früher im Osten lebten. In diesem Jahr rechnet Wolfgang Langer von Jugendweihe e. V. mit 33.000 jugendgeweihten Kindern. „Aber wir halten es da wie die Bauern“, sagt er. „Die Küken werden erst im Herbst gezählt.“

Der Verein hat unter seinen Küken mal nachgefragt: Warum lässt du dich jugendweihen? Die drei häufigsten Antworten waren: weil ich diesen Augenblick bewusst erleben möchte; weil ich Geschenke bekomme; weil es eine Familienfeier gibt. Mindestens eine Antwort davon ist ehrlich. ANJA MAIER