Im Ring und um den Ring herum

Einst war Boxen ein proletarischer Sport. Nun aber gibt es auch Boxevents wie das im Köpenicker Alten Funkwerk. Dort fand der lang erwartete Kampf Köpenick gegen Pankow statt. Ist das Publikum stylisher geworden? Eine Milieustudie

VON AMBROS WAIBEL

Als die gute Inge noch dem Weltkulturerbe „Zum Goldenen Hahn“ am Heinrichplatz vorstand, gab sie manchmal ihrer Sehnsucht nach „Männer mit Arme“ Ausdruck. Warum sie stattdessen solchen mit traurigen Köpfen und angeknacksten Seelen eine Heimat gab, weiß wohl nur ihr großes Herz. Einmal sah sie lange meine Hände an und fragte zart hoffend: „Mal Kampfsport gemacht?“ Und ich dachte an das Gedicht „Hand- und Kopfarbeit“ von Peter Hacks, wo der Dichter einen gelehrten Freund fragt, was je er mit Händen ergriffen hätte. Die Antwort: „Wäre die Liebste nicht, sicher nur immer Papier.“

Und so antwortete ich dumpf „nein“, obwohl meine Hände wirklich sehr groß sind, und zwischen Inge und mir wurde es so innig nicht mehr. Erst später gestand ich mir ein, dass ich Inges Frage genauso gut hätte bejahen können. Waren wir als Jugendfußballspieler etwa nicht von der Boxabteilung unseres Vorstadtvereins zum Konditionstraining für Kämpfer eingeladen worden? Und hatten wir uns nicht mit der Einsicht verabschiedet, dass wir lieber wegen Whisky-Cola kotzten als wegen ihres mörderischen Zirkeltrainings?

Boxen ist ein großer Sport, und beim hochdramatisch angekündigten Duell der Box-Promotions Boxtempel (Ralf Hackradt-Pankow) versus IFKO (Frank Hogenkamp-Köpenick) am Sonnabend im Alten Funkwerk Köpenick gab es durchweg spannende Fights zu sehen. Sebastian Wille von IFKO und Rico Schulz vom Boxtempel etwa fielen als enorm agile Kämpfer auf. Mario Lupp ließ sich von Wille tapfer verprügeln und wartete hochkonzentriert auf seine Chance – leider kam sie nicht. Vom Boxen leben können sie alle nicht, auch der Star des Abends, Tempel-Schwergewichtler Enrico Garmendia, macht nebenher eine Ausbildung zum Kaufmann.

Sportlich gesehen war dort draußen also alles sehr in Ordnung, und die zehn Euro für einen Stehplatz auf jeden Fall das Geld wert. Der abgeblätterte Rocky-Balboa-Charme der Funkfabrik, inklusive idyllischer Wasserlage – tatsächlich riecht es ziemlich nach Fisch – und Dixie-Klos, könnte durchaus auch ein Nennen-wir-es-Mitte-Publikum an den Stadtrand bringen, das vielleicht nicht viel vom Boxen versteht, sich aber umso mehr von Stylishness anlocken lässt.

Und tatsächlich fanden sich im VIP-Bereich ein paar Milieu-Glotzer, man sah überall Familien mit Kindern, lernbegierige Nachwuchstalente und alte Boxer mit Gesichtern, die die ganze Story erzählen, ein paar Besucher wirkten wie Mitglieder einer Köpenicker Schickeria – falls es so was geben tut. Sogar ein einsamer Inder verfolgte das Geschehen. Die für eine Boxveranstaltung in einer internationalen Metropole zu erwartende Vielfalt im Publikum suchte man allerdings vergeblich. Zu neunundneunzig Prozent war es deutsch-deutscher Herkunft und zu einem kleinen, aber nicht zu übersehenden Teil deutlich stolz darauf.

Die Veranstalter nennen diesen Teil „kampfsportinteressiert“. Sie stellen klar, dass sie nicht scharf sind auf Nazis und Hools, aber sie wollen mit ihren Kampfabenden Geld verdienen und berufen sich darauf, bei einer öffentlichen Veranstaltung niemand abweisen zu können, solange nichts „verherrlicht“ werde – womit sie einerseits recht haben, es aber andererseits nicht bewenden lassen können, wenn sie die Ostberliner Provinzialität hinter sich lassen wollen.

Sehr ambitioniert und professionell dagegen wirkt der Einsatz des Boxtempels für Enrico Garmendia. Der neunundzwanzigjährige, 1,96 große, auf Kuba geborene Schwergewichtler beobachtet entspannt die ersten Runden des Abends und sieht der Auseinandersetzung mit Werner Kreiskott selbstbewusst entgegen. Im Training hat er schon oft gegen ihn geboxt, die im Vorfeld beschworene „Feindschaft“ zwischen Pankow und Köpenick gehört ins Reich der Ringpoesie wie sein schöner Kampfname „Der weiße Kubaner“. Er strahlt Ruhe aus, und doch: „Klares Ding kann man nicht sagen, beim Schwergewicht nie.“

Interessant schließlich ist es auch bei Frank Hogenkamp, der mit IFKO (Impartial Fight Klub Organisation) als der Profiabteilung des Box-Gym Köpenick seit zwei Jahren in der Vermarktung aktiv ist. Einst im Osten hat er selbst bei Lok Mitte geboxt, dann den Kontakt verloren, nun ist er wieder mittendrin, auch wenn ihn seine Leidenschaft noch nicht ernährt. Hogenkamp ist ein leutseliger Typ, der ein wenig an den mittleren Frank Schöbel erinnert. Er lebe von seiner Frau, die, sagt er schmunzelnd, eine Cocktail-Bar betreibe.

Sie sitzt neben ihm, und neben ihr sitzt seine „Freundin“. Und da denke ich natürlich wieder an Inge, an ihr Milieu der „Männer mit Arme“.